Autoimmunerkrankungen verstehen, der Darm
Unter Autoimmunerkrankungen ist eine Fehlsteuerung unseres Immunsystems zu verstehen, bei der körpereigene Strukturen, wie Zellen und Organe, angegriffen werden. Daraus resultieren viele Krankheitsbilder, von Typ-1-Diabetes und Multipler Sklerose bis hin zu Psoriasis, Rheuma und einem kranken Darm. „Autoimmunerkrankungen verstehen und vorbeugen, Teil 2“ bringt Licht ins Dunkel für unsere Leserinnen und Leser.
Autoimmunerkrankungen verstehen und vorbeugen / der Darm – Teil 2
von Dr. med. univ. Vilmos Fux aus dem LCHF Magazin
Wie im vorherigen Artikel besprochen, braucht es bei vielen Autoimmunerkrankungen meistens eine gewisse genetische Prädisposition, um Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass man deswegen tatsächlich an einer Autoimmunerkrankung erkrankt. Es sind weitere prädisponierende Faktoren notwendig und sehr oft eine Kombination von diesen über einen längeren Zeitraum, bis die Erkrankung ausbricht. Dass die genetische Rolle offensichtlich eine Rolle spielen kann erkennt man daran, dass oft Verwandte 1. Grades auch an der gleichen Autoimmunerkrankung leiden wie ein anderes Familienmitglied. Klassische Beispiele dafür sind Zöliakie, Hashimoto Thyreoditis, Typ-1-Diabetes aber auch Erkrankungen wie Multiple Sklerose.
Was sind weitere Faktoren, die das Risiko an einer Autoimmunerkrankung fördern können? Diesmal werfen wir einen Blick auf den Darm.
Einer der bekanntesten Ärzte und Forscher zum Thema Darm und Autoimmunerkrankungen ist der amerikanische Arzt Alessio Fasano. Er beschäftigt sich damit, warum Patienten mit Zöliakie ein deutlich höheres Risiko haben, weitere Autoimmunerkrankungen zu entwickeln im Vergleich zur gesunden Bevölkerung. In den Jahren hat sich der Begriffe „leaky gut“, zu deutsch „löchriger Darm“, oder „increased intestinal permeability“, zu deutsch “erhöhte Darmdurchlässigkeit” durchgesetzt. Was bedeutet dieser Begriff? Lange dachte man, dass die Primäraufgabe des Darms nur die Aufnahme und Verdauung von Nahrungsmitteln sei und die Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts. Neuerdings wurden jedoch weitere essentielle Aufgaben entdeckt.
Wenn wir Nahrungsmittel oral aufnehmen, egal ob es sich dabei um echte Lebensmittel wie z.B. Fleisch, Nüsse oder Gemüse handelt oder auch hoch industriell verarbeitete Lebensmittel wie Chips oder Popcorn, gelangen jedes Mal fremde Eiweiße (sogenannte Antigene), welche man auf der Oberfläche von Lebensmitteln findet, in den menschlichen Organismus. Normalerweise, wenn der Darm gesund ist, dann dient dieser wie eine Art Barriere und führt dazu, dass diese Eiweißstoffe nicht über den Darm in die Blutbahn gelangen und dort mit dem Immunsystem in Berührung kommen. Geschieht dies, kann es über Kreuzreaktionen zur Fehlsteuerung des Immunsystems kommen und das Immunsystem kann plötzlich körpereigene Eiweiße als fremd sehen und diese angreifen. Jede Zelle unseres Körpers besitzt eine Art „Ausweis“, bestehend aus Eiweißen, welche dem Immunsystem die Information gibt, ob es sich bei Zellen um eine körpereigene Zelle oder eine fremde Zelle handelt. Werden diese Zellen durch ein fehlgesteuertes Immunsystem, plötzlich als fremd angesehen, greift das Immunsystem diese Zellen an. Wir haben das Stadium einer manifesten Autoimmunerkrankung erreicht. Der Patient beginnt dann Symptome zu manifestieren, die zuerst sehr subklinisch auftreten, aber dann auch mit zum Teil sehr starken Beschwerden einhergehen können.
Wohlgemerkt muss hier betont werden, dass so ein löchriger Darm nur ein Risikofaktor ist, der das Entstehen einer Autoimmunerkrankung begünstigen kann. In den meisten Fällen reicht es nicht aus, „nur“ eine erhöhte Darmpermeabilität zu haben. Alessio Fasano entdeckte, dass vor allem Patienten mit Zöliakie, Weizenallergie oder Nicht-Zöliakie-Glutensensitvität eine erhöhte Darmpermeabilität aufweisen, wenn sie glutenreiche Nahrung essen. Dieser Zustand kann auch nach dem Konsum glutenhaltiger Lebensmittel länger persistieren, besonders bei schwereren Formen der Glutenintoleranz. Dies ist mit ein Grund, warum viele LCHF-Bewegungen auch Gluten meiden.
Der Darm reguliert
Der Darm reguliert somit Toleranz und Immunität gegenüber Antigenen der Nahrung (und Darmbakterien). Sehr oft stolpert man in der Literatur bei dieser Thematik über die beiden Begriffe „tight junctions“ und „Zonulin“. Bei einem gesunden Darm sind zwischen den Epithelzellen des Darms keine Lücken aufzufinden, die durch tight junctions (= „dichte Verbindungen“) geschlossen sind. Zonulin ist hingegen das Enzym, das unter anderem genau reguliert, ob diese tight junctions offen oder geschlossen sind. Das bedeutet, dass bei erhöhter Darmpermeabilität im Darm Zonulin hochreguliert ist, welches die tight junctions öffnet. Dadurch wird die Barriere des Darmeptihels geschwächt und fremde Antigene der Nahrung können passieren, in die Blutbahn gelangen und dort das Immunsystem fehlsteuern.
Was genau kann alles einen durchlässigen Darm provozieren? Es gibt viele verschieden Trigger, dazu gehören: Akuter und chronischer Stress seelischer und körperlicher Natur, Störungen der Darmmikrobiota, Schlafmangel, Rauchen, eine klassische westliche Ernährung reich an hoch industriell verarbeiteten Lebensmitteln, Gluten, aber auch andere Eiweißkomponenten der Nahrung wie Casein aus Kuhmilchprodukten. Dazu gehören auch noch viele weitere Antigene, welche der Struktur von Gluten stark ähneln und ebenfalls Probleme machen können: Mais, Hafer (der von Natur aus glutenfrei wäre, aber oft durch die Verarbeitung mit glutenreichem Getreide in Berührung kommt), sogar Reis, Hirse, Kartoffeln oder Reis können in sehr seltenen Fällen ebenfalls wie Gluten wirken und einen leaky gut provozieren. Umgekehrt bedeutet das nicht, dass jeder, der mit Gluten in Berührung kommt, einen durchlässigen Darm entwickelt. Selbst Individuen mit der genetischen Prädispositon für die schwere Form der Glutenunverträglichkeit wie die Zöliake, erkranken nicht automatisch an einem leaky gut. In unseren Breitengraden tragen sogar ein Drittel der Bevölkerung diese genetische Prädisposition für die Zöliakie in sich.
Des Weiteren reicht es anscheinend auch nicht aus einen leaky gut zu haben, um eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Es hängt sehr viel davon ab, in welcher Verfassung das Immunsystem vorliegt, um autoimmune Reaktionen zu veranlassen oder nicht. Dies zeigt uns nur die multifaktoriellen möglichen Ursachen von Autoimmunerkrankungen und vieler anderer Erkrankungen.
Diese bisher beschriebene Hypothese konnte sich bestätigen: Medikamente, die Zonulin blockieren und die tight junctions somit geschlossen halten, reduzieren Entzündungswerte bei den Patienten und und lindern deren Symptome oder stoppen oder zögern Schübe hinaus. Diese Medikamente befinden sich aktuell alle in experimenteller Phase. Sind die tight junctions längerfristig geöffnet, ist das Risiko laut A. Fasano erhöht, auch an Allergien, Infektionen und manchen Tumoren zu erkranken.
Es erkranken tatsächlich weniger als 10% der Individuen, welche eine genetische Prädisposition für eine Autoimmunerkrankung haben, tatsächlich daran. Es ist somit naheliegend, dass es dafür weitere Auslöser braucht, vor allem aus der Umwelt. Der Darm spielt hier eine zentrale Rolle in der Regulation, welche dieser Auslöser in unseren Körper gelangen. Autoimmunerkrankungen sollten deswegen immer ganzheitlich behandelt werden und die Darmgesundheit nie außer Acht gelassen werden. Auf jeden Fall sollte genauestens von einem medizinisch geschultem Personal und Arzt getestet werden, welche Auslöser für einen „leaky gut“ bei einem Patienten vorliegen. Es wird sehr wenig Erfolge bringen, wenn ein Patient einen strikten Ernährungsplan einhält, aber einen chronisch äußerst gestressten Lebensstil verfolgt, der primär seinem Darm schadet.
Autoimmunerkrankungen verstehen und vorbeugen – Teil 1 von Dr. med. univ. Vilmos Fux liest du hier.
Vilmos Fux
Leseratte oder Bücherwurm?
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Anja Hess, Heike Schulz und Tina Vogel
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