„Süßes Blut“ – Die Diabetes-Kolumne
„Süßes Blut“ – Die Diabetes-Kolumne von Frank Linnhoff
Insulinresistenz im Kindesalter
Immer wieder überrascht es mich, wie wenig unsere Ärzte die Anzeichen für eine sich entwickelnde Insulinresistenz beachten.
Bei der 8-jährigen Eva, die mich im Sommer 2015 mit ihren Eltern besuchte, waren die äußeren Anzeichen von Hyperinsulinämie und Insulinresistenz derart deutlich, dass ich ungläubig mit Kopfschütteln reagierte, als mir die Eltern sagten, dass ihr Hausarzt nicht auch nur einmal dem Grund für den wachsenden Bauchumfang des Kindes nachgegangen sei. Als mir die Mutter sagte, dass Eva bei ihrer Geburt schon 4,6 kg gewogen habe und regelrecht zuckersüchtig sei, klingelten bei mir die Alarmglocken. Ich erklärte ihnen, warum ihre Tochter sehr wahrscheinlich an einer Störung des Glukose-Stoffwechsels leide. Nach den Sommerferien hatten die Eltern auf meinen Rat einen oralen Glukose-Toleranztest mit Insulinbestimmung bei Eva durchführen lassen, der eindeutig Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie diagnostizierte.
Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie ist ausschlaggebend für Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Neuere medizinische Forschungen zeigen, dass Insulinresistenz als Schutzreaktion von Mitochondrien gegen ein Zuviel an Glukose aufgefasst werden kann. Es handelt sich somit ursächlich um eine Dysfunktion in der Verwertung von Glukose im Zentrum der Energieerzeugung unserer Körperzellen selbst. Früh erkannt lässt sich diese Störung wohl nicht heilen. Mit einer Kost aus unverfälschten, nährstoffreichen Lebensmitteln mit sehr wenig Zucker und wenig Stärke, moderat Eiweiß und viel natürlichem Fett aber gut im Zaum halten. Das genaue Gegenteil der kohlenhydratreichen, fettarmen „gesunden Mischkost“, welche die Deutsche Gesellschaft für Ernährung propagiert.
Kann man Kindern zumuten, keine Süßigkeiten mehr zu essen? Ja, man kann.
Eva litt furchtbar unter den ständigen Hänseleien ihrer Mitschülerinnen. So erstaunte es mich nicht, dass sie ab dem Moment auf Süßes verzichtete und stärkereiche Speisen mied, als ihre Mutter ihr genau erklären konnte, warum selbst relativ wenig Zucker, Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln in ihrem Körper Fettpolster bilden. Einen Sommer später hüpfte mir eine leichtfüßige, strahlende Eva entgegen. Wie schnell und radikal eine zucker- und stärkearme, fett- und nährstoffreiche Kost doch in diesem Alter wirkt. Mutter und Vater hatten ihr Essverhalten gemeinsam mit Eva umgestellt, sich recht schnell an die neue Kost gewöhnt und sie schätzen gelernt. Eva hatte ihre Zuckersucht mit der neuen Ernährungsweise überraschend schnell überwunden und eine Lebensfreude und Vitalität entwickelt, welche die Eltern so lange Zeit schmerzlich bei ihrem Kind vermisst hatten.
Eine nicht erkannte Insulinresistenz führt zu ernsthaften Problemen. Denn im Laufe der Zeit steigt der Insulinspiegel im Blut an, was wiederum die Insulinresistenz verschlechtert. Ein wahrer Teufelskreis. Ein ständig hoher Insulinspiegel schädigt die innerste Schicht aller Blutgefäße und erhöht so das Risiko für die Entwicklung lebensgefährlicher Gefäß- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, lange bevor erhöhte Blutzuckerwerte auftreten und oft Jahrzehnte bevor sich Typ-2-Diabetes manifestiert. Ganz abgesehen davon, dass ein ständig erhöhter Insulinspiegel zu Fettleibigkeit führt, welche gerade junge Menschen nicht nur in ihrer körperlichen Entwicklung schwer belastet. Ist es nicht die Aufgabe von Eltern, sich zu bilden und ihre Kinder mit guten Argumenten aufzuklären? Verbote ohne Argumente und ohne vorgelebtes Beispiel, das wissen wir alle, bleiben wirkungslos. Dass uns niemand diese Aufgabe abnehmen kann, wissen wir ebenfalls.
Das Beispiel von Eva und ihren Eltern beweist, dass eine Umstellung der Ernährungsweise funktioniert, wenn alle Familienmitglieder mitmachen. Hyperinsulinämie mit Insulinresistenz ist eine der meistverbreiteten Hormonstörungen unserer Zeit. Seit etwa 50 Jahren gibt es Analysemethoden, mit welchen Insulin gemessen werden kann. So ist mittlerweile bekannt, dass es große Unterschiede in der Ausschüttung von Insulin auf eine gegebene Menge von Glukose gibt. Je nach Individuum variiert die Insulinantwort zwischen dem Ein- und Sechsfachen in einer relativ kleinen Population, ohne die Ausreißer nach unten und oben mitzuzählen. Diejenigen unter uns, deren Mitochondrien größere Mengen an Glukose schlecht tolerieren und deren Pankreas überschießend auf Glukose reagiert, haben bei unserer heutigen zucker- und stärkereichen Standardkost ihr Leben lang gegen Übergewicht anzukämpfen, laufen Gefahr, an Herzinfarkt oder Gehirnschlag zu versterben und bilden mit großer Wahrscheinlichkeit spätestens im Rentenalter einen manifesten Diabetes aus.
Nein, der pandemische Anstieg von Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes liegt nicht daran, dass die Menschheit auf einmal auf der faulen Haut liegt, statt sich zu bewegen und sich überfrisst, statt Maß zu halten. Der Hauptgrund ist, dass raffinierter Zucker und hoch stärkehaltige Lebensmittel und Fertiggerichte einen immer größeren Anteil an der menschlichen Ernährung einnehmen und bei immer mehr Menschen die Toleranzschwelle überschreiten. Diese Produkte sind billig, lange Zeit haltbar, schmecken nach mehr und füllen weltumspannend die Regale der Supermärkte. Ihre Herstellung und Vermarktung liegt vorzugsweise in den Händen großer internationaler Konzerne, welche mit allen Mitteln des modernen Marketings ihren Umsatz und Profit steigern wollen. Kinder sind da eine besonders wichtige Zielgruppe; denn einmal in der Kindheit erworbene Marken und Geschmackspräferenzen bleiben oft das ganze Leben über vorherrschend.
Muss man da mitmachen? Nein, ganz gewiss nicht!
Frank Linnhoff
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