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Zuckersucht – existiert sie wirklich?

Die Kohlenhydrat-Krankheit und was dann passierte

Zuckersucht – existiert sie wirklich?

von Romina Scalco aus dem Low Carb – LCHF Magazin 3 / 2017.

 

Offiziell existiert die Zuckersucht nicht. Dennoch lassen sich mithilfe der Google-Suche über 50.000 Einträge zum Thema finden – auf Englisch sogar über 2,2 Millionen. Was ist also dran? Existiert die Zuckersucht wirklich oder irren sich die Tausende oder Millionen von Menschen, die darüber berichten?

 

Die Definition von Sucht

 

Gemäß internationaler Klassifikation[1] liegt eine Sucht bzw. eine Abhängigkeit dann vor, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

 

  • Innerer Zwang zum Konsum: Verminderte Kontrollfähigkeit über den Konsum
  • Körperliche Entzugssymptome, wenn der Konsum gestoppt oder reduziert wird
  • Toleranzbildung: Dosis muss erhöht werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen
  • Andere Interessen werden vernachlässigt, erhöhter Zeitaufwand für die Beschaffung, für den Konsum oder für die Erholung vom Konsum
  • Trotz Wissen um bereits vorliegende Gesundheitsschäden wird weiter konsumiert

 

Diese Kriterien werden wir gegenüber der Wirkung von Zucker prüfen, damit wir feststellen können, ob eine Zuckersucht existiert oder nicht.

Wie Sucht entsteht und wie wir sie inaktiv setzen können

Sucht ist die körperliche oder emotionale Abhängigkeit von einem Stoff oder einem Verhalten. Doch egal in welcher Form eine Sucht daherkommt – ihr einziges Ziel ist, belastende Gefühle zu verdrängen oder zu vermeiden.[2]

 

Ich finde diesen Gedanken wichtig, denn er hilft uns, zu verstehen, dass wir Sucht nicht einfach mit purer Willenskraft ausmerzen können. Wurde ein Suchtverhalten einmal implementiert, bleibt es immer im Gehirn verankert. Was wir allerdings steuern können, ist das Suchtverhalten inaktiv zu setzen, indem wir die Verhaltensschlaufe, die sogenannte Habit Loop, verändern bzw. die Routine überschreibe.[3]

 

Dazu müssen wir aber zuerst verstehen, wie diese Habit Loop überhaupt funktioniert. Im Bild sehen Sie den “Cue”, also den Auslöser. Das sind meist negative Gefühle oder bestimmte Situationen. Nehmen wir zum Beispiel an, ein nicht-süchtiger Mensch fühlt sich frustriert, weil er im Job nicht die Anerkennung erhält, die er möchte bzw. braucht. Er geht nach Hause und macht sich dort sofort eine Flasche Bier auf oder eine große Packung Eiscreme. Das erzeugt bei ihm eine gewisse Belohnung und dämpft den Schmerz. Durch das sich in unserem Belohnungszentrum bildende Dopamin fühlt er sich besser. Das Gehirn speichert diese Reaktion in seiner Tool-Box ab. Wenn jetzt der gleiche Mensch am nächsten Tag wieder frustriert nach Hause kommt, wird ihm sein Gehirn dieses “Tool” zur Schmerzlinderung in Form von Gedanken vorlegen.

Geben wir diesem Impuls nach, wird dieses Verhalten mehr und mehr zur Routine, bis wir es irgendwann von ganz alleine, völlig automatisiert durchziehen. So entsteht das Suchtverhalten. Unser Nicht-Süchtiger ist zum Süchtigen geworden.

 

Um diese Habit-Loop, diese Verhaltensschlaufe, zu durchbrechen, muss er nun die Routine durchbrechen. Mit reiner Disziplin, dem Impuls widerstehen zu wollen, ist dies kaum von Erfolg gekrönt, denn Willenskraft steht uns nur begrenzt zur Verfügung. Wir müssen uns bewusst werden, was der Auslöser ist und welche Reaktion wir durch unser Suchtverhalten erzielen. Wodurch lässt sich die schlechte Routine durch eine neutrale oder gesunde Option ersetzen, um den gleichen Effekt zu erzielen?

 

Einerseits braucht es dazu sehr viel Achtsamkeit, um überhaupt die Auslöser, den Clue, ausmachen zu können. Gesunde Alternativen wären für unser Beispiel eine Sporteinheit, um den Frust abzutrainieren, ein Spaziergang in der Natur oder soziale Interaktion mit Menschen, die uns nahestehen und uns gut tun. Doch die Ursache bleibt – der Frust bzw. die fehlende Anerkennung am Arbeitsplatz. Auch daran sollte gearbeitet werden (eigene Erwartungshaltung überprüfen, sich selbst Anerkennung geben und nicht von außen abhängig machen, eigenes Selbstwertgefühl prüfen, Gespräch mit dem Chef etc.).

Schaffen wir es, ein neutrales oder gesundes Verhalten anstatt des Suchtverhaltens einzusetzen und in unseren Alltag zu implementieren, können wir die Verhaltensschlaufe überschreiben.

 

Die Wirkung von Zucker

 

Unser Körper stellt mittels Gluconeogenese aus Fett und Eiweiß in der Leber selber Zucker her. Er kann also seinen Bedarf an Zucker problemlos selbst decken, und daher müssen wir Zucker nicht über die Nahrung aufnehmen. Trotzdem begleitet uns süße Nahrung von Beginn an – denn auch die Muttermilch schmeckt süß. Außerdem sind Lebensmittel, die süß schmecken, quasi ein Freibrief, um so richtig zuzulangen: So stehen süße Esswaren für eine ungefährliche, ungiftige und energiereiche Nahrungsquelle. Süßes verbinden wir daher von klein auf mit Sicherheit, Geborgenheit und ungefährlicher Nahrung. Eine gefährliche Mischung.

 

Wie wirkt Zucker auf unser Gehirn?

 

Sobald Nahrung unsere Zunge berührt, wird diese Information über unsere Sensoren an unser Gehirn weitergeleitet und unser Belohnungszentrum wird aktiviert. Genau so reagiert unser Gehirn auch auf Zucker. Sobald wir etwas Süßes schmecken, wird Dopamin ausgeschüttet und wir fühlen uns super. Im Gegensatz zu anderen Nahrungsmitteln lässt aber die Sensationswirkung bei Zucker niemals nach – wir empfinden daher Zucker immer als etwas Tolles und Aufregendes. Daher können wir Zucker bzw. Süßes immer essen, während uns die gleiche Mahlzeit nach drei Tagen nicht mehr so toll schmeckt.

 

Zucker – seine Verfügbarkeit und gesellschaftliche Rolle

 

Während der Zugang zu Drogen oder Alkohol zum Teil sehr erschwert ist, ist Zucker in 80% aller verarbeiteten Lebensmittel enthalten. Wir können ihn jederzeit und überall kaufen und konsumieren – dafür braucht es keine dunkle Gasse. Außerdem wird der Zuckerkonsum enorm gesellschaftlich gefördert – kein Geburtstag, keine Hochzeit oder ein anderer gesellschaftlicher Anlass, der nicht ohne Dessert und eine riesige Zuckermenge gefeiert bzw. abgehalten wird.

 

Zucker wird zur Belohnung und zum Trost eingesetzt und erhält dadurch schon für Kleinkinder eine enorme emotionale Bedeutung.

 

 

Existiert Zuckersucht?

 

Wenn wir uns nach den heutigen Ernährungsvorschriften ernähren, sind wir im Glukosestoffwechsel und unser Körper verlangt von sich aus immer wieder nach zuckerhaltigem Essen, um den Blutzucker zu stabilisieren. Dank unserer Traditionen und unserer Gesellschaft verknüpfen wir von Kindesbeinen an starke Gefühle – egal ob positiv oder negativ – mit dem guten Gefühl, das uns der Konsum von Zucker verschafft. Die Industrie sorgt dafür, dass Zucker für uns rund um die Uhr verfügbar ist. Doch reicht das aus, um süchtig zu werden? Macht Zucker süchtig?

 

Um diese Frage zu beantworten, werden wir die fünf Kriterien (verminderte Kontrollfähigkeit über den Konsum, körperliche Entzugserscheinungen, Toleranzbildung, Vernachlässigung von Interessen sowie Weiterführung des Konsums trotz Gesundheitsschäden) von Sucht (Schweiz[4]) im Zusammenhang mit Zucker einzeln prüfen. Schließlich müssen drei dieser fünf Punkte erfüllt sein, um eine Sucht bzw. eine Abhängigkeit zu bestätigen.

 

Verminderte Kontrollfähigkeit über den Konsum

 

Untersuchungen an Menschen haben gezeigt, dass Zucker ähnliche Veränderungen in unserem Hirn, vor allem im Belohnungszentrum, verursacht wie abhängig machende Drogen. Doch Zucker verändert nicht nur die Gehirnstruktur, er ist deutlich attraktiver für uns als Kokain. Sehr schön veranschaulicht das diese Grafik, die das Aufleuchten des Belohnungszentrums im Hirn zeigt – einerseits bei Zuckerkonsum, andererseits beim Konsum von Kokain:[5] 

 

Dabei wird offensichtlich, dass Zucker unser Belohnungszentrum viel stärker anregt als Kokain. Das wurde auch in Tierversuchen bestätigt: Die Versuchstiere bevorzugten, wenn sie vor die Wahl gestellt wurden, eindeutig Zucker, auch wenn sie vorher schon kokainabhängig waren.[6] Entzieht man den Versuchstieren zeitweise den Zucker, resultieren daraus Fressanfälle.[7] Das zeigt deutlich das Potenzial des Kontrollverlusts, den regelmäßiger Zuckerkonsum mit sich bringen kann. Einerseits wird unser Belohnungszentrum so stark stimuliert wie von keiner anderen Droge, andererseits verleitet Zuckerkonsum zu Fressanfällen, also zu überdurchschnittlich starkem Konsum von Zuckerhaltigem. Das, sowie die vielen Erfahrungsberichte im Internet und die persönlichen Erlebnisse meinerseits bestätigen, dass Zucker eindeutig die Kontrollfähigkeit über den Konsum einschränkt und kein kontrollierter Konsum bei einer abhängigen Person möglich ist.

Körperliche Entzugserscheinungen

In einem Experiment mit Ratten wurde aufgezeigt, dass die Labortiere, nachdem ihnen Zuckerwasser zur Verfügung gestellt wurde und anschließend der Zugang dazu verwehrt blieb, deutliche Entzugserscheinungen aufwiesen. Sie klapperten mit den Zähnen, hatten Schmerzen, zeigten aggressives Verhalten, waren unruhig und ängstlich. Außerdem zeigten sie depressives Verhalten. All das sind auch Entzugserscheinungen bei opioidabhängigen Laborratten und Menschen.[8]

Aus eigener Erfahrung kann ich diese Entzugserscheinungen bestätigen. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich meinen Kohlenhydrat- und Zuckerentzug durchmachte. Ich benahm mich wie ein Junkie und war völlig außer Kontrolle, auf der Suche nach ein bisschen Zucker. Erst, wenn man einen solchen Entzug durchgemacht hat, merkt man, welchen enormen Einfluss Zucker nicht nur auf unseren Körper, sondern auf unsere Psyche und unser Denken hat.

 

Vielleicht kennen Sie ja die Werbung von Snickers – “du bist nicht du, wenn du hungrig bist”? So ähnlich ging es mir, als ich noch im Zuckerstoffwechsel war. Sobald der Hunger kam, war ich gereizt und konnte ziemlich unausstehlich sein. Sie kennen bestimmt jemanden, bei dem es sich ähnlich abspielt.

 

Seit ich meine Ernährung vor über vier Jahren auf Low Carb bzw. LCHF umgestellt habe, ist dieses permanente Denken ans Essen verschwunden und hinterlässt eine wunderbare Entspannung, was dieses Thema anbelangt.

 

Doch eines dürfen Sie nicht vergessen: Einmal süchtig, immer süchtig. Wann immer ich heute wieder einmal Zucker konsumiere, was selten vorkommt, leide ich die nächsten drei Tage unter Heißhungerattacken, extremen Gelüsten und ständigem Denken ans Essen. Danach folge ich wieder der sauberen LCHF-Ernährung und das Ganze beruhigt sich wieder. Doch diese Habit Loop mit dem Suchtverhalten ist immer und wird immer im Hirn verankert sein und sobald ich mich dem süchtigmachenden Stoff aussetze, setzt auch das alte Suchtverhalten sofort wieder ein.

Toleranzbildung

 

Gemäß Zuckersucht-Spezialistin Bitten Jonsson[9] entwickelt man während der Zuckersucht eine starke Toleranzbildung. Das heißt, wir müssen immer mehr Zucker konsumieren, um unser Bedürfnis nach Zucker zufrieden zu stellen. Das gilt nicht nur für das Verlangen nach Süßem an sich, sondern auch für das Empfinden. Sind wir regelmäßigen Zuckerkonsum gewohnt, müssen wir immer süßer essen, um es noch genau gleich süß zu empfinden.

Vernachlässigung von Interessen

 

Zuckersüchtige lügen, erfinden Ausreden und tun alles, wie andere Süchtige auch, um ihre Sucht zu rechtfertigen und zu erhalten. Sie reduzieren soziale Kontakte aus Scham und Angst, abgelehnt zu werden oder mit ihrem Essverhalten anzuecken. Sie können nicht mehr gleich effizient arbeiten, da ihre Gedanken nur noch ums Essen kreisen. Hoher Zuckerkonsum wirkt sich zudem auf das Konzentrationsvermögen aus, wir sind antriebslos, häufig müde und nicht mehr so stark belastbar. Die mit dem übermäßigen Zuckerkonsum einhergehenden Stimmungsschwankungen, das aggressive Verhalten oder die depressive Stimmung bei Entzug können enorm belastend für das soziale Umfeld sein und damit erhebliche negative Konsequenzen mit sich führen, wie zum Beispiel das Abbrechen von sozialen Beziehungen oder der Verlust des Arbeitsplatzes, was die Sucht an sich nur noch verstärkt.[10] Ich muss zugeben, dass ich mich in dieser Beschreibung durchaus wiedererkenne, zumindest mein altes Zucker-Ich. Auch ich habe gelogen und heimlich gegessen, weil ich mich so dermaßen für meine “Disziplinlosigkeit” und meinen ständigen Hunger geschämt habe.

 

Weiterführung des Konsums trotz Gesundheitsschädigung

 

Eine regelmäßige und hohe Einnahme von Zucker hat enorm negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Zucker verursacht nicht nur schlechte Zähne und Karies, sondern ist Ursprung vieler Entzündungsprozesse in unserem Körper und kann unter anderem zu einer nahrungsinduzierten Fettleber, Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Alzheimer, Herz-Kreislauf-Krankheiten und zu einem vorzeitigen Tod führen.[11] Trotz all dieser Gefahren, die von hohem Zuckerkonsum ausgehen, wird ein Abhängiger den Konsum weder reduzieren noch einstellen. Das lässt sich aus den Ergebnissen aus Tierversuchen ableiten: Abhängige Versuchstiere in Isolation gaben sich zu 100% die Überdosis, wenn sie Gelegenheit dazu hatten, auch wenn das rasch zu ihrem Tod führte.[12]

 

Fazit

Die Fakten sind eindeutig: 5 von 5 Punkten sind erfüllt – 3 davon sind wissenschaftlich belegt, die restlichen zwei Punkte sind durch Erfahrungsberichte und Spezialisten wie Bitten Johnson belegt. Auch wenn sich viele der wissenschaftlichen Quellen auf Tierversuche stützen, so ist das für die meisten Suchtforschungen der Fall – nicht nur bei Zucker – und deshalb nicht weniger aussagekräftig. Die Belege sind klar und deutlich vorhanden. Daraus lässt sich schließen: Zuckersucht existiert. Sie ist real und sehr stark verbreitet. Doch Zucker kann man nicht so einfach aus dem Weg gehen wie Drogen oder Alkohol – er ist fast überall. Was ebenfalls problematisch ist: Die meisten wissen wahrscheinlich nicht einmal, dass sie süchtig nach Zucker sind – das merkt man erst, wenn man, so wie ich, den Entzug erlebt hat. Zucker ist für unser Gehirn attraktiver als Kokain, das muss man sich einfach mal bewusst machen. Hoffen wir, genauso wie Dr. Robert Lustig, dass Zucker in naher Zukunft genauso reguliert und gehandhabt wird wie Tabak.

 

Romina Scalco schreibt und blogt mit Herz und Verstand, sie ist Speaker beim Low Carb – LCHF Kongress, Trainee in der LCHF Akademie, Freelancer bei LCHF Deutschland und unterstützt die Redaktion des Low Carb – LCHF Magazins.

 

Vielen Dank für diesen extrem interessanten Artikel über die Zuckersucht, liebe Romina.

 

www.LCHF-Deutschland.de

 

 

[1] http://www.suchtschweiz.ch/infos-und-fakten/substanzen-und-sucht/abhaengigkeit/

[2] http://www.caritas.de/glossare/sucht-definition

[3] Charles Duhigg, The Power of Habit, New York, 2012

[4] http://www.suchtschweiz.ch/infos-und-fakten/substanzen-und-sucht/abhaengigkeit/

[5] Abbildung 2: Screenshot aus dem Film: Fed Up http://fedupmovie.com/#/page/home

[6] https://www.researchgate.net/publication/236967373_Sugar_addiction_Pushing_the_drug-sugar_analogy_to_the_limit

[7] http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2235907/

[8] http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2235907/

[9] http://www.dietdoctor.com/member/courses/jonsson#1

[10] http://www.dietdoctor.com/member/courses/jonsson#1

[11] https://www.dr-feil.com/allgemein/zucker.html

[12] http://www.ted.com/talks/johann_hari_everything_you_think_you_know_about_addiction_is_wrong/transcript?language=en

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