Die Schuld an der Diskriminierung von Übergewichtigen
Der Artikel „Die Schuld an der Diskriminierung von Übergewichtigen“ ist eine Übersetzung des Artikels “The blame for fat shaming” von Dr. Jason Fung, MD erschienen auf dietdoctor.com
Die Schuld an der Diskriminierung von Übergewichtigen
Fettleibigkeit ist ein emotional aufgeladenes Thema. Der Hauptgrund ist, dass es mit allerlei Verleumdungen über die Willenskraft und den Charakter einer Person verknüpft wurde. Fettleibigkeit unterscheidet sich völlig von fast jeder anderen Krankheit, denn es gibt immer die unausgesprochene Anschuldigung, dass man es sich selbst angetan habe. Man hat immer das Gefühl, dass man etwas hätte dagegen tun können, wenn man nicht so ein willenloser Vielfraß wäre.
Viele Ärzte beschäftigen sich unbewusst mit „Fat Shaming = der Diskriminierung der Übergewichtigen“, weil sie glauben, dass dies den Patienten zusätzliche „Motivation“ gibt, Gewicht zu verlieren. Als ob die ganze Welt sie nicht jeden Tag daran erinnern würde. Also, wer verdient die Diskriminierung? Die CICO-Fraktion (CICO ist eine Abkürzung und steht für „calories in, calories out“, also Kalorien rein, Kalorien raus.) – jene Ärzte und Forscher, die fleißig und ständig gewettert haben, dass „eine Kalorie eine Kalorie ist“ oder „es dreht sich alles um die Kalorien“ oder „weniger essen, mehr bewegen“. Was sie tatsächlich meinen, aber nicht sagen, ist: „Es ist alles deine Schuld“. Die CICO-Gruppe nahm die Krankheit Fettleibigkeit auf und behandelte sie nicht mit Mitgefühl und Verständnis, sondern mit Diskriminierung. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass es sich nur um ein riesiges Paket von Lügen handelt, die uns von den CICO-Firmengründern zugespielt werden.
Wenn Sie zum Beispiel Brustkrebs entwickeln, denkt niemand heimlich, dass Sie mehr hätten tun sollen, um ihn zu verhindern. Niemand sagt Ihnen herablassend, dass Sie “ mit dem Programm mitmachen“ sollen. Wenn Sie einen Herzinfarkt haben, sehen Sie sich nicht diesen versteckten Anschuldigungen ausgesetzt. Fettleibigkeit ist zu einer Krankheit geworden, die in ihrer Verbindung mit Diskriminierung einzigartig ist. Die CICOpaths unterstellen, dass alles Ihre Schuld ist, und wenn Sie nicht so ein Verlierer wären und nur auf sie gehört hätten, könnten auch Sie wie Brad Pitt oder Julia Roberts aussehen. Das ist nicht wahr. Sie versuchen wirklich nur, die Schuld für die Fettleibigkeitsepidemie von ihrem eigenen schrecklichen Ernährungsempfehlungen abzulenken, die sie seit Jahrzehnten verkaufen.
Das Problem mit CICO
Dieser CICO-Glaube resultiert aus einem grundlegenden Fehler in der Logik. Wir haben das Problem der Fettleibigkeit als ein grundlegendes Ungleichgewicht von Energie und Kalorien verstanden. Das ist ein entscheidender, wirklich entscheidender Fehler. Ich habe in meinem Buch The Obesity Code (Die Schlankformel) dargelegt, dass diese obsessive Fixierung auf Kalorien falsch ist. Lassen Sie uns das überlegen. Bis in die 1970er Jahre hinein gab es wenig Fettleibigkeit. Doch die Menschen hatten praktisch keine Ahnung, wie viele Kalorien sie gegessen haben. Sie hatten auch praktisch keine Ahnung, wie viele Kalorien sie verbrannt haben. Bewegung ist nichts, was man aus Spaß gemacht hat. Doch ohne Anstrengung lebten Menschen auf der ganzen Welt ohne Fettleibigkeit. Sie aßen weitgehend, was sie wollten, wenn sie hungrig waren, und aßen nicht, wenn sie es nicht waren.
Wenn fast jeder Einzelne auf der Welt in der Lage war, Fettleibigkeit zu vermeiden, ohne Kalorien zu zählen, wieso ist dann das Zählen von Kalorien so grundlegend für die Gewichtsstabilität seit 1980? Der Körper der Menschen konnte über 5.000 Jahre lang Fettleibigkeit vermeiden, aber seit 1980 brauchen wir Kalorien- und Schrittzähler? Wohl kaum.
Es gibt zwei wesentliche Änderungen in der amerikanischen Ernährung seit den 1970er Jahren. Zuerst wurde uns geraten, das Fett in unserer Ernährung zu reduzieren und die Menge der Kohlenhydrate zu erhöhen. Dieser Ratschlag, mehr Weißbrot und Nudeln zu essen, erwies sich als NICHT besonders schlankheitsfördernd. Aber es gibt noch ein weiteres Problem, das weitgehend unbemerkt geblieben ist. Die Zunahme der Mahlzeitenfrequenz.
In den 1970er Jahren aßen die Menschen größtenteils dreimal am Tag – Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Wenn sie keinen Hunger hatten, dann war es durchaus möglich, eine Mahlzeit zu überspringen. Das war ihr Körper, der ihnen signalisierte, dass sie nicht essen müssen.
Also hören Sie auf die Signale Ihres Körpers.
Bis 2004 stieg die Zahl der Mahlzeiten pro Tag auf sechs – also eine Verdoppelung. Nun, das Snacken war nicht nur ein Genuss, es wurde als gesundes Verhalten gefördert. Das Überspringen von Mahlzeiten war stark verpönt. Was für eine bizarre Welt ist das? Müssen Sie sich ständig Essen in den Mund schieben, um abzunehmen? Im Ernst? Wenn Sie nicht essen, werden Sie an Gewicht zunehmen? Im Ernst? Es klingt nicht nur albern, es ist albern.
Die Ermahnungen gegen das Auslassen von Mahlzeiten waren deutlich. Ärzte und Diätassistenten mit der starken Unterstützung von Industriegeldern (Pharma- und Lebensmittelindustrie), sagten den Patienten, sie sollten niemals eine Mahlzeit auslassen. Sie warnten vor schrecklichen Folgen. Zeitschriften warnten vor den Problemen beim Überspringen von Mahlzeiten. Was passiert aus physiologischer Sicht, wenn man nicht isst, ist das wirklich so schlimm? Mal sehen. Wenn Sie nicht essen, wird Ihr Körper etwas Körperfett verbrennen, um die Energie zu erhalten, die er benötigt. Das ist alles. Es gibt nichts anderes. Schließlich ist das der eigentliche Zweck, das Fett zu speichern – damit wir es nutzen können. Wenn wir also nicht essen, nehmen wir das Körperfett.
Mit zunehmendem Übergewicht in der Bevölkerung wurde die Forderung nach einer höheren Mahlzeitenfrequenz lauter. Es funktionierte nicht wirklich, aber das war nebensächlich. Als die Menschen fettleibig wurden, sagten die Ärzte, sie sollten Kalorien sparen und ständig essen – grasen, wie eine Milchkuh auf einer Weide.
Aber dieser schreckliche Rat hat nicht funktioniert. Es gibt also zwei mögliche Ursachen für das Problem. Entweder war die Ernährungsempfehlung zur Gewichtsabnahme schlecht, oder die Empfehlung war gut, aber die Person folgte ihr nicht. Auf der einen Seite war das Problem der Rat des Arztes. Auf der anderen Seite war es ein Patientenproblem. Lassen Sie uns das auf das Wesentliche reduzieren. Ärzte und andere Ernährungsbehörden glauben fest daran, dass übermäßige Kalorien eine Gewichtszunahme verursachen. Sie empfehlen den Patienten, weniger Kalorien zu essen. Entweder:
- Der Ratschlag „weniger Kalorien essen“ ist falsch und funktioniert nicht oder
- Der Ratschlag ist gut, aber der Patient konnte ihm nicht folgen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Du hast den Traum, aber nicht die Antriebskraft. Etc. Etc.
Ich glaube, dass #1 richtig ist. Daher ist es für Patienten mit Adipositas ein schlechter Ratschlag, häufiger und mit geringerem Fettgehalt zu essen, um die Kalorienzufuhr zu reduzieren. Ihre Gewichtsprobleme sind ein Symptom dafür, dass die Krankheit Adipositas nicht verstanden wird. Ich glaube nicht, dass Übergewichtige eine geringe Willenskraft oder einen schlechten Charakter haben. Übergewichtige behandle ich mit demselben Respekt wie einen Patienten mit Krebs.
Die Schuld wird dem Opfer gegeben
Viele Ärzte und Forscher glauben an die Option #2. Sie denken, dass das Problem nicht die Ernährungsempfehlung ist. Sie glauben, dass das Problem die Patienten sind. Daher soll ihnen eine „gesunde“ Dosis Diskriminierun die Motivation geben, gesund zu werden. Es sind die „eine Kalorie ist eine Kalorie“ Menschen, die für das Phänomen der Diskriminierung der Übergewichtigen verantwortlich sind. Sie geben dem Opfer die Schuld, weil es ihr eigenes gescheitertes Verständnis von Gewichtszunahme entschuldigt. Sie glauben, dass die Adipositasepidemie das Ergebnis eines weltweiten kollektiven, gleichzeitigen Verlustes von Willenskraft und schlechtem Charakter ist.
Der Name dieses Spiels lautet „dem Opfer die Schuld geben“. Auf diese Weise können Ärzte weiterhin glauben, dass der Rat, den sie geben, perfekt ist. Es war die Schuld des Patienten. Ergibt das einen Sinn? Etwa 40% der amerikanischen erwachsenen Bevölkerung wird als fettleibig eingestuft (BMI>30) und 70% sind übergewichtig oder fettleibig (BMI>25). War diese Adipositaskrise tatsächlich eine Krise schwacher Willenskraft?
Betrachten Sie eine Analogie. Angenommen, ein Lehrer hat eine Klasse von 100 Kindern. Wenn einer versagt, kann das sicherlich die Schuld des Kindes sein. Vielleicht hat es nicht gelernt. Aber wenn 70 Kinder versagen, ist das dann eher die Schuld der Kinder oder eher die Schuld des Lehrers? Offensichtlich des Lehrers. In der Adipositasmedizin lag das Problem nie beim Patienten. Das Problem war die fehlerhafte Ernährungsberatung, die Patienten erhielten. Aber die CICOpaths haben in ihrer Verleugnung die Schuld auf jene fettleibigen Patienten geschoben, die die eigentlichen Opfer des Versagens des Arztes waren, Fettleibigkeit als Krankheit zu verstehen, und nicht als ein Versagen einer Person.
Deshalb ist Adipositas nicht nur eine Krankheit mit verheerenden gesundheitlichen Folgen, sondern bringt auch ein großes Stück Scham mit sich. Es handelt sich um eine Krankheit mit imensen psychologischen Folgen. Die Leute tadeln sich selbst, weil jeder ihnen sagt, dass es ihre Schuld ist. Die Ernährungsbehörden werfen den Euphemismus „Eigenverantwortung“ um sich, wenn sie „Es ist Ihre Schuld“ meinen. Doch die Übergewichtigen trifft keine Schuld für dieses Dilemma.
Das eigentliche Problem ist die Akzeptanz der zugrunde liegenden Annahme, dass es bei Fettleibigkeit um „Kalorien rein Kalorien raus“ geht. Diese gescheiterte CICO-Mentalität hat unser ganzes Universum durchdrungen und die natürliche Schlussfolgerung dieser Denkweise ist, dass, wenn man fettleibig ist, „es die eigene Schuld“ ist, dass man sich „gehen lässt“. Entweder haben die Übergewichtigen es versäumt, ihr Essverhalten zu kontrollieren (geringe Willenskraft, Völlerei) oder sie haben nicht genug trainiert (Faulheit, Faulheit). Aber es ist falsch. Adipositas, wie ich sie in „Die Schlankformel“ beschrieben habe, ist keine Fehlentwicklung von zu vielen Kalorien. Es ist ein hormonelles Ungleichgewicht durch die Hyperinsulinämie. Das Reduzieren von Kalorien, wenn das Problem Insulin ist, wird nicht funktionieren. Und wissen Sie was? Es funktioniert auch nicht.
Menschen mit Gewichtsproblemen leiden nicht nur unter allen körperlichen Gesundheitsproblemen: Typ-2-Diabetes, Gelenkbeschwerden, etc., sondern sie werden auch dafür verantwortlich gemacht. Vorwürfe, die zu Unrecht auf sie gerichtet sind, weil der Rat, den sie zum Abnehmen erhielten, eine 99%ige Fehlerquote hatte. Sollten die Menschen darüber wütend werden? Auf jeden Fall. Wenn Ihnen das nächste Mal ein Arzt sagt, dass es um Kalorien geht, haben Sie meine Erlaubnis, ihn zu „schlagen“.
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Über den Autor:
Dr. Jason Fung ist ein kanadischer Nephrologe. Er ist ein weltweit führender Experte für intermittierendes Fasten und Low Carb, vor allem zur Behandlung von Menschen mit Typ 2 Diabetes. Er schrieb herausragende Gesundheitsbücher und hat das Intensive Ernährungsmanagement-Programm mitbegründet.
Dr. Fung absolvierte die University of Toronto und absolvierte seine Residenz an der University of California, Los Angeles. Er lebt und arbeitet in Toronto, Kanada.
Vielen Dank für die Übersetzung, liebe Claudia Heine.
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Anja Hess, Heike Schulz und Tina Vogel
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Bild: Canva
Gnubbel 8. Mai 2024
Schön, wie der Herr Dr. Fung es auf den Punkt gebracht hat: Wir Dicken sind an dem Übel nicht schuld. Wir haben eher Mitleid verdient, weil wir doch so krank sind. Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Nein, wir brauchen kein Mitleid, weil wir nämlich gar nicht krank sind! Und damit hat sich die Frage von irgendwelcher Schuld auch gleich mit erledigt.
Nein, wir sind keine armen Opfer. Wir sind genau so vollwertige Menschen wie alle anderen, und wir haben genau so ein Recht, unser Leben zu genießen, wie jeder andere Mensch. Und wenn uns jemand wegen unserer politisch inkorrekten Körpermaße diskriminieren will, dann sollten wir ihm nicht auch noch Recht geben, sondern uns dagegen wehren. Ja, mir hat auch schon mal im Krankenhaus ein Arzt die Behandlung verweigert, weil ich nicht abnehmen wollte. Da habe ich mal eben drei Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert (so wolltet ihr’s doch haben, oder nicht?), und dann gab’s ein klärendes Gespräch mit anschließendem Stationswechsel.
Dick = krank, das ist sowas von 1970! Wie viele gertenschlanke Menschen habe ich schon überlebt: Krebs, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, die ganze Palette. Wie viele Sportskanonen laufen mit einer Fettleber rum und wissen gar nichts davon. In meinem Alter sind drei Medikamente der Standard, ich brauche kein einziges. Und wenn jemand meine Fitness anzweifeln sollte, der darf sich gern in meinem Keller ein Fahrrad aussuchen, und dann fahren wir mal gemeinsam auf unseren Hausberg, aber von der steileren Seite, sonst ist der Spaß nur halb. Dann wird’s ihm vielleicht dämmern, dass zwei Drittel meines „Übergewichts“ aus Muskeln bestehen. Ja, die sind einfach so gewachsen, weil jede Bewegung mehr Anstrengung erfordert als bei einem Fliegengewicht (das nennt man Trainingseffekt). Aber Energiereserven habe ich ja zum Glück genug, von denen meine Muskeln zehren können. Und ganz nebenbei pumpen meine Muskeln dann auch mehr Kollagen in die Gelenke (hab ja auch genügend zu mir genommen), sodass die das Mehr an Körpergewicht auch gut verkraften können.
Also, liebe starkgewichtigen Mitmenschen, hört auf, euch schlecht zu fühlen, nur weil man euch das einreden will. Und hört auf, zu glauben, dass ihr krank seid, nur weil euer Körpergewicht nicht der Norm (wer bestimmt die eigentlich und auf welcher Grundlage?) entspricht. Krank wird man nicht vom Körperfett, sondern von Dauerstress und Kohlenhydraten, das habe ich mir am eigenen Leibe bewiesen, und zwar in beiden Richtungen. Und hört auf, euren „Schweinehund“ zu bekämpfen und euer Gehirn auszuhungern, das ist nämlich Dauerstress pur. Kümmert euch um euer Seelenheil, macht euren Frieden mit eurem Körper und lasst die ewigen Nörgler und Miesmacher an euch abprallen. Dann werdet ihr feststellen, dass sich so manches Problem (und vielleicht auch das, was ihr mit eurem Körper zu haben glaubt) von selbst in Wohlgefallen auflöst.
Natürlich habe ich trotz aller Ketzerei allen Respekt vor der Medizin und vor den Ärzten (habe ja selbst einen in der Familie). Aber genau so, wie für einen Hammer jedes Problem ein Nagel ist, so ist für einen Arzt jeder Mensch, der nicht der Norm entspricht, ein Patient. Und ein Patient muss eben „behandelt“ werden. Denkt mal selbst darüber nach, die Ärzte werden es mit Sicherheit nicht tun, die leben schließlich davon.
Anja Hess 18. Mai 2024
Vielen Dank für deinen aussagekräftigen Kommentar! 🙂