Gerade die Menschen in den reichen Industrienationen fühlen sich zunehmend gestresst, und sie verkraften Stress tatsächlich auch immer schlechter. Daher ist es wichtig, sich mit dem Thema Stress auseinanderzusetzen. Gestern konnten Sie den 1. Teil „Leben mit Stress“ hier lesen, heute geht es um die inneren Stressoren.
Innere Stressoren
von Nadja Polzin aus dem Low Carb – LCHF Magazin 4 / 2016
Im LCHF Magazin 3/2016 hat Nadja Polzin Sie bereits ein wenig auf das Thema Stress eingestimmt und vermittelt, welche körperlichen Auswirkungen akuter und chronischer Stress auf uns hat. In diesem Beitrag möchte sie sich damit beschäftigen, was uns denn eigentlich Stress bereitet. Dabei geht es ihr nicht so sehr um die offensichtlichen Stressoren, die jeder von uns kennt. Aber beginnen wir von vorn.
Was sind Stressoren?
Laut Lexikon ist ein Stressor ein Mittel, das Stress bewirkt oder ein Faktor, der Stress auslöst. In der Medizin versteht man darunter einen inneren oder äußeren Einfluss auf den Organismus, der eine Anpassung des Organismus erfordert. Der Stressor führt also dazu, dass wir uns anpassen und das tun wir über die Stressreaktion, die ich Ihnen das letzte Mal vorgestellt habe. Die äußeren Stressoren sind den meisten von uns oft klar. Termindruck, ein cholerischer Chef, Auseinandersetzungen mit dem Partner, den Eltern oder den Kindern – all das ist ganz klar Stress für uns. Ebenso ein instabiler Blutzucker, Chemikalien, wie Medikamente, Putzmittel und Kosmetika; oder schlicht Lärm, Hitze, Kälte, Hunger.
Was ist aber, wenn wir all dem nicht ausgesetzt sind, diese Probleme längst erkannt und einige gebannt haben, unser Körper aber trotzdem Stress meldet? Zum Beispiel, indem er uns zu vermehrtem Suchtmittelkonsum (Zucker, Tabak, Kaffee, Alkohol etc.) treibt oder wir müde und erschöpft sind, obwohl eigentlich „nichts los“ ist? Dann geht es tatsächlich ans Eingemachte, denn dann müssen wir auf die Suche nach unseren inneren Stressoren gehen. Ich erfahre in der Praxis immer wieder, dass dieser Punkt abgetan wird. „Ich bin doch kein Psycho, der Arzt guckt nur nicht richtig. Irgendwas habe ich.“ höre und lese ich leider nicht allzu selten. Aber das ist ein grundlegendes Missverständnis, denn wir sind alle „Psychos“ – Menschen mit einer Psyche, d.h. mit Gefühlen und Gedanken. Und die können für uns den stärksten chronischen Stress bedeuten.
Der Feind in unserem Kopf
Sicher kennen Sie das Beispiel vom Säbelzahntiger, unserem Ur-Stressor, wie wir ihn uns heute vorstellen. Der Säbelzahntiger ist längst ausgestorben und auch die meisten, unmittelbar tödlichen, äußeren Gefahren sind für uns hier in Europa gebannt. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit auf der Erde und wir können sehr dankbar dafür sein. Das bedeutet aber leider nicht, dass wir stressfrei leben. An die Stelle der realen Bedrohungen von außen setzen mehr und mehr Menschen ihre eigenen Gedanken. Gedanken, die so viel Stress auslösen, dass ihnen gesundheitliche Probleme daraus erwachsen. Vor allem Frauen sind dafür sehr anfällig und leiden unter dem, was es den ganzen Tag in ihrem Kopf vor sich hindenkt. Das ist eine ganze Menge, denn ein erwachsener Mensch hat täglich rund 60.000 Gedanken. In Bücher gedruckt, ließen sich damit in einer Woche ganze Regalreihen füllen. Das Problem ist nur eins: wir denken keine romantischen oder lustigen Romane. Wir denken immer und immer wieder das Gleiche; vieles davon unbewusst und das meiste davon tatsächlich bereits seit Jahrzehnten. Unser Regal würde also für fremde Leser ziemlich schnell langweilig werden. Für uns selbst ist es jedoch der Schlüssel zum Glück. In unseren Gedanken liegt ein unglaubliches Potential für ein zufriedeneres, glücklicheres,
stressfreieres Leben.
Gedanken und Gefühle: Ihre persönliche Wirklichkeit
Was sind eigentlich Gedanken? Gedanken sind unsere angeborene Fähigkeit, die Realität wahrzunehmen. Aus der Wahrnehmung entsteht in unserem Gehirn eine äußere und eine innere Welt, die wir sehen, hören, schmecken und riechen können. Gedanken sind per se höchst individuell, denn wir sehen nur durch unsere eigenen Augen. Sie sind wie eine Brille, durch die wir das sehen, was wirklich ist. Medizinisch und biochemisch wissen wir noch nicht genau, was Gedanken eigentlich sind. Sie gelten deshalb immer noch als eine Art Meta-Ebene; etwas, das da ist, aber keiner Materie zugeordnet wird. Gedanken bilden also unsere individuelle Interpretation der Realität ab. Die Sache, die wir sehen, ist neutral. Die Bewertung – gut, schlecht, schön, hässlich – passiert in unserem Kopf. Und es kommt noch komplexer, denn unsere Gedanken haben einen Partner. Unsere Gefühle. Sie sind eine Art Messgerät, ein Tachometer für unsere Gedanken. Bewerten wir unsere Umwelt oder uns selbst negativ, fühlen wir uns schlecht. Finden wir etwas gelungen oder sind stolz auf uns, sind wir glücklich, fühlen wir uns gut. Unsere Gefühle sagen uns also letztlich etwas über die Gedanken, die wir haben. Sie sagen uns, welche Farbe die Brille hat, die wir aufhaben. Sie sagen uns nichts darüber, was wirklich ist.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern. Kinder bekommen oft einen Teddy oder eine Kuscheldecke, was ihnen in den ersten Jahren beim Einschlafen hilft. Der Teddy selbst ist neutral, er ist nichts als etwas Stoff und Schaumstoff. Zumindest für uns Erwachsene. Hat das Kind sich aber mit dem Teddy „angefreundet“, dann ist er viel mehr als das. Er ist ein Beschützer, der dafür sorgt, dass das Kind in Ruhe und Frieden schlafen kann. Geht der Teddy verloren, liegt das Kind lange wach und ist nicht zu beruhigen. Dabei macht der Teddy nichts. Alles, was der Teddy ist, findet im Kopf des Kindes statt. Sie und ich, wir sehen den Teddy nicht als Beschützer. Er gibt uns nichts. Der Teddy ist neutral. Für das Kind bedeutet er jedoch Sicherheit und Frieden, sprich: die Erfüllung essenzieller Grundbedürfnisse. Sicherlich fragen Sie sich jetzt, was das mit Ihnen zu tun hat? Ganz einfach. Der Teddy ist ein Synonym. Erwachsene projizieren ihre Bedürfnisse auf andere Dinge. Geld, Arbeit, Süßigkeiten, Alkohol, Kaffee, Sport – alles, was uns kurzfristig das Gefühl der Sicherheit bietet, obwohl es als Sache eigentlich neutral ist.
Was für die Wahrnehmung von Sicherheit gilt, trifft selbstverständlichauch auf Unsicherheiten zu. Auch hier gibt es gänzlich neutrale Dinge, die wir so bewerten können, dass wir unsicher werden und uns in der Folge Stress entsteht. Fangen wir einmal bei Ihnen selbst an. Was genau denken Sie heute eigentlich über sich selbst? Gehen Ihnen Dinge durch den Kopf wie „Ich bin zu dick.“, „Ich bin nicht (schön) genug.“, „Ich bin dumm.“, „Ich werde nicht geliebt.“? Spricht Ihnen einer der Sätze aus der Seele oder haben Sie einen eigenen, negativen Glaubenssatz, der in Ihren Augen etwas über Sie sagt? Nutzen Sie den Augenblick und fühlen Sie einmal in sich hinein, wie sich Ihr Gedanke über sich selbst so anfühlt. Gut? Oder eher nicht so gut? Erinnern Sie sich? Ihre Gefühle sagen nur etwas über Ihre Gedanken, nicht über die Realität. Die amerikanische Bestseller-Autorin Byron Katie würde dem hinzufügen, dass Sie sich nur schlecht fühlen, weil Ihre Gedanken über sich selbst (oder etwas anderes) in Konflikt zur Realität stehen. Wäre wahr, was Sie denken, würden Sie sich gut fühlen. Und Sie hätten deutlich weniger Stress, denn Sie wären da, wo Sie sein wollen und nicht in irgendeinem Phantasieland.
„Sie sind mutiger, als Sie denken; stärker, als Sie scheinen und cleverer, als Sie glauben.“ A.A. Milne, Autor von Winnie Puh
Unsere negativen Glaubenssätze sind die Ursache für alle Probleme, die wir in unserem Leben haben (ausgenommen Schicksalsschläge). Es spielt keine Rolle, ob Sie Probleme mit Ihrem Partner haben oder Ihre Lebensgestaltung nicht dem entspricht, was für Sie gesundheitlich empfehlenswert wäre. Alles geschieht, weil Sie sich Tag und Nacht erzählen, dass das so sein muss. Auch bei Ängsten, Depressionen und Zwängen spielen diese negativen Glaubenssätze, die Tag für Tag in unserem Inneren kreisen, eine wichtige Rolle. Viele der Gedanken sind unterbewusst. Suchen wir sie nicht aktiv, finden wir sie nie. Wenn Sie Ihr Stresslevel reduzieren wollen, gesund sein wollen, dann sollten Sie auf die Suche gehen. Wir müssen nämlich davon ausgehen, dass bis zu Ihre Gedanken gestalten Ihre Realität. Jeden Tag aufs Neue. 95% Ihrer Gedanken und inneren Überzeugungen unbewusst stattfinden. Viele Dinge, die uns ausmachen und die wir als selbstverständlich und real wahrnehmen, sind einfach nur Gedanken, die wir schon viele, viele Jahre mit uns herumtragen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie ein sinnvolles Bild der Realität sind. Suchen Sie also danach und machen Sie sich frei. Sie werden erleben, wie Sie mit der bloßen Veränderung Ihrer Gedanken Ketten sprengen.
Verändern Sie Ihre Wirklichkeit – leben Sie stressfreier
Wollen Sie ausprobieren, ob ein anderer Gedanke wirklichhi lft? Nehmen Sie sich jetzt einen Moment Zeit, um mit mir einmal zu fühlen, was passiert, wenn Sie die Realität anders wahrnehmen. Bleiben wir am besten bei Ihnen selbst. Suchen Sie sich eine Ihrer „Überzeugungen“ über sich selbst aus. Viele Menschen glauben tatsächlich, dass sie nicht genug seien, nicht wertvoll, nicht liebenswert so, wie sie sind. Eigentlich glaubt das so gut wie jeder Mensch. Sie würden staunen, wie wenige Menschen sich für gut genug halten. Wir drehen den Satz jetzt einmal um. Aus „Ich bin nicht genug.“ wird „Ich bin genug.“ oder, was mir persönlich besser gefällt: „Ich bin wertvoll.“ Schließen Sie die Augen und fühlen Sie einmal in diesen Satz hinein. Sagen Sie ihn ein paar Mal vor sich auf, drehen und wenden Sie ihn vor Ihrem inneren Auge. Wie fühlt sich dieser Gedanke an? Können Sie sich entspannen? Wird Ihnen warm ums Herz? Fühlen Sie sich gut? Was spricht dagegen, dass Sie diesen Gedanken jetzt immer abrufen, wenn Sie sich unsicher fühlen oder Angst haben, dass Sie etwas nichtschaffen? Warum kleben Sie den Satz nicht über Ihren Spiegel? Sie werden sich schon morgen früh mit ganz anderen Augen sehen. Probieren Sie es aus. In einigen Wochen werden Sie den Satz fühlen. Was meinen Sie, wie schnell der Stress nachlässt…Machen Sie die Übung und beschäftigen Sie sich mit Ihren Gedanken. Sie werden Wunder erleben.
Das reicht Ihnen nicht? Dann freue ich mich auf das nächste Magazin. Dort stelle ich Ihnen meine liebsten Anti-Stress-Rituale vor.
Begleitend zum Thema empfehlen wir das Buch „DIE ANTI-STRESS-ERNÄHRUNG – Mehr Power für die Körperzellen“, erhältlich im Expert Fachmedien Buchshop.
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Bildnachweise: Nadja Polzin, Fotolia.com
Gnubbel 8. Dezember 2019
Liebe Nadja, auch wenn du schon eine Fülle wertvoller Tipps gegeben hast, wie man die Stressoren findet und wie man mit ihnen umgeht, lass mich trotzdem noch eins ergänzen: Einer der schlimmsten Stressoren in unserer heutigen Gesellschaft sind die Statussymbole: „Mein Haus, mein Auto, mein Sixpack …“. Was tun wir nicht alles, um uns mit ihnen schmücken zu können: Wir schuften uns den Buckel krumm für einen Hungerlohn, wir kaufen uns ein viel zu teures Auto, um uns vor dem Nachbarn nicht zu blamieren, wir ertragen Menschen, die wir am liebsten zur Hölle schicken würden, wir hungern uns halbtot, weil irgendjemand mal gesagt hat, alles über BMI 25 sei „Übergewicht“ und Übergewicht sei bääh. Und wir messen unseren Wert an unserem Bankkonto und an der Zahl auf der Waage und nennen das „Erfolg“. Was für ein Irrsinn!
Wenn es uns gelingt, uns von diesen Zwängen zu befreien, dann werden wir irgendwann erstaunt feststellen, wie leicht und entspannt das Leben sein kann. Wir müssen nicht mehr in diesem Hamsterrad rumrennen, das von innen aussieht wie eine Karriereleiter, denn wenn wir auf einmal kein Geld mehr brauchen für ein Zweitauto oder für das tägliche Fitnesstudio, dann können wir uns vielleicht sogar nach einem Beruf umschauen, der uns zwar nicht so viel Geld bringt, aber uns dafür glücklich macht. Und wir müssen nicht mehr auf den Nachbarn neidisch sein, der das größere Auto oder den grüneren Rasen hat (allein schon der Neid ist ein enormer Stressor), weil wir entdeckt haben, dass man die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht für Geld bekommen kann.
Freilich wird das Leben ein wenig unbequemer, weil man ohne Zweitauto nun öfter mit dem Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen muss (doch, das geht!). Aber da man sich nun das Fitnessstudio sparen kann, ist auch der zusätzliche Zeitaufwand kein Thema mehr. Stattdessen kann man sich mit dem eingesparten Geld leckere Sachen kaufen und diese so richtig genießen, denn man ist ja auch kein Sklave der Waage mehr.
Und dann wird man etwas ganz Erstaunliches feststellen: Man wird abnehmen, obwohl man doch gut und reichlich gegessen hat! Das hat einen ganz einfachen Grund: Durch den Dauerstress hat unser Gehirn einen viel höheren Energiebedarf als der restliche Körper. Und um diesen zu decken, müssen wir den Körper quasi „überfüttern“. Tun wir das nicht, hungern wir damit unser Gehirn aus. Und das wiederum ist ein extremer Stress, denn dann wird sich unser Gehirn die Nährstoffe aus dem Körper holen (nein, nicht das Fett, sondern die Proteine aus Muskeln, Knochen, Gelenken und Gefäßen), und dazu kann es Hormone aus dem Ärmel zaubern, die uns zum Zombie machen. Wenn wir aber unser Leben entstressen („entschleunigen“), dann wird der Energiebedarf des Gehirns wieder auf ein normales Maß sinken, und unser Körper wird sich der nun nicht mehr benötigten Reserven peu à peu entledigen.
Der große Immanuel Kant hatte mal gesagt: „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern vielmehr durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß. Und es könnte sein, dass die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, dass sie gewinnt, indem sie verliert.“
In diesem Sinne dir, dem ganzen Team und allen Leser eine besinnliche und stressarme Adventszeit.