Zuckersteuer oder „gesunde Mehrwertsteuer“?
Die Frage „Zuckersteuer oder gesunde Mehrwertsteuer?“ beinhaltet einen ganz neuen Denkansatz. In manchen Ländern gibt es sie bereits. In Deutschland wird sie heiß diskutiert. Wir haben dazu einen interessanten Gastbeitrag von Dr. Dippel erhalten.
Zur Person: Dr. rer. med. Franz-Werner Dippel hat Biologe studiert und in Medizin promoviert. Er hat mehr als 20 Jahre Industrieerfahrung in verschiedenen Funktionen der Herz-Kreislauf- und Stoffwechselforschung. Seit 2018 ist er Gaststudent an der TU Berlin und als freiberuflicher Dozent für Gesundheit und Ernährung tätig.
Zuckersteuer oder „gesunde Mehrwertsteuer“?
Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass Zucker eines der größten Gesundheitsrisiken in unserer Ernährung darstellt und für die Entwicklung von Übergewicht sowie zahlreichen Zivilisationskrankheiten verantwortlich ist. Deshalb empfiehlt die WHO-Richtlinie von 2015 höchstens fünf Energieprozent des täglichen Kalorienbedarfs in Form von zugesetztem Zucker zu sich zu nehmen. Bei einem normalgewichtigen Erwachsenen mit einen Kalorienbedarf von etwa 2.000 kcal entspräche das der Menge von etwa 8 Stück Würfelzucker pro Tag (ca. 25 g). Der durchschnittliche Zuckerverzehr der Deutschen liegt jedoch aktuell bei dem Vierfachen, d.h. ca. 100g pro Tag.
Um zu beurteilen, ob die Zuckersteuer eine sinnvolle Maßnahme darstellen würde, sollte man zunächst klären, was wir eigentlich unter Zucker verstehen.
Wenn wir von Zucker sprechen, meinen wir strenggenommen nur den Zucker aus Zuckerrohr sowie aus Zuckerrüben (lebensmittelrechtliche Definition). Dabei handelt es sich um einen so genannten Zweifachzucker (chem.: Disaccharid), der zu je einem Teil aus Traubenzucker (Glukose) und Fruchtzucker (Fruktose) besteht. Ernährungswissenschaftler und Lebensmittelchemiker bezeichnen dieses „Doppelmolekül“ als Saccharose. Umgangssprachlich verstehen wir darunter unseren Haushalts-bzw. Kristallzucker (Raffinade).
Seit 1972 gibt es „Zucker“ auch noch in Form von Maissirup. Dabei handelt es sich um enzymatisch vorwiegend aus Maisstärke hergestellten Glukose-Fruktose-Sirup (engl.: High-Fructose-Corn-Sirup). Aus lebensmittelrechtlichen Gründen darf Glukose-Fruktose-Sirup jedoch nicht als Zucker bezeichnet werden. Lebensmittelchemiker sprechen hier von Isoglukose. Immer häufiger findet man auch den Begriff „Stärkezucker“, da Glukose-Fruktose-Sirup auch aus Getreide und Kartoffeln hergestellt werden kann. Biochemisch handelt es sich dabei ebenfalls um eine Mischung aus Trauben- und Fruchtzucker. Anders als bei Rohr- und Rübenzucker liegen die beiden Zuckermoleküle Glukose und Fruktose jedoch getrennt als Einfachzucker vor (chem.: Monosaccharide), wobei man das Verhältnis der beiden Komponenten beliebig variieren kann. Mais- bzw. Stärkesirup wird fast ausschließlich in der Industrie zum Süßen von Speisen, Süßwaren und Getränken verwendet.
Auf der Zutatenliste müssen herkömmlicher Zucker (Saccharose) und Maiszucker (Stärkezucker) deshalb getrennt ausgewiesen werden.
Neben Haushaltszucker und Stärkezucker gibt es noch eine Vielzahl so genannter natürlich süßender Zutaten. Dazu gehören Honig, zahlreiche Pflanzensirupe (z.B. Ahorn-, Agave- und Dattelsirup), Pflanzenzucker (z.B. Kokosblütenzucker, Palmzucker), Fruchtdicksäfte (z.B. Rübenkraut, Traubensüße), Trockenfrüchte sowie Malzextrakt. Sie enthalten alle ebenfalls Trauben- und Fruchtzucker in Form von Einfach- oder Zweifachzuckern in unterschiedlicher Konzentration und Mischungsverhältnissen.
Damit nicht genug, enthalten zahlreiche industriell hergestellte Fertigprodukte auch noch Milchzucker (Laktose). Beim Milchzucker handelt es sich wie beim Haushaltszucker um ein Doppelmolekül (Zweifachzucker). Die eine Hälfte davon besteht ebenfalls aus Traubenzucker (Glukose), die andere Hälfte aus Schleimzucker (Galaktose).
Wer soll da noch den Überblick behalten? Der normale Verbraucher ist hier völlig überfordert. Hinzu kommt, dass die vorgenannten Zuckerarten auch noch unter verschieden Bezeichnungen deklariert werden (z.B. Dextrose, Invertzucker, Maltose, Molkenpulver u.v.a.).
Zuckeraustauschstoffe
Als vermeintlichen Ausweg aus der Zuckerflut wurden die so genannten Zuckeraustauschstoffe entwickelt. Sie enthalten höchstens halb so viele Kalorien wie Haushaltszucker. Die gängigsten Vertreter sind Sorbit (E 420), Erythrit (E 968) und Xylit (E 967). Xylit wird auch unter dem Trivialnamen Birkenzucker vermarktet und gaukelt dem Verbraucher somit ein natürliches und vermeintlich gesundes Süßungsmittel vor. Dabei wird Birkenzucker überwiegend aus Holzabfällen gewonnen. Im Übermaß verzehrt verursachen Zuckeraustauschstoffe Durchfall.
Nicht zuletzt müssen noch die synthetischen Süßstoffe erwähnt werden. Dazu zählen Substanzen wie z.B. Aspartam (E 951), Cyclamat (E 952) und Saccharin (E 954). Sie enthalten zwar keine Kalorien, ihnen werden aber gesundheitsschädliche Wirkungen auf die Darmbakterien nachgesagt.
Bleibt zuallerletzt noch Stevia. Obwohl dieser kalorienfreie Extrakt aus einer Pflanze gewonnen wird (auch Süß- bzw. Honigkraut genannt), zählt er zu den Lebensmittelzusatzstoffen (E 960) und unterliegt gesetzlich festgelegten Höchstmengen. Stevia ist ca. 300mal süßer als Haushaltszucker und kann deshalb nicht 1:1 zum Kochen oder Backen verwendet werden. Für zahlreiche industriell hergestellte Fertigprodukte ist Stevia wegen fehlender Sicherheitsdaten von der EU-Kommission bisher noch nicht zugelassen.
Unbedenklich zum Süßen von Speisen scheinen also nur noch Gewürze wie z.B. Zimt und Vanille zu sein. Sie werden üblicherweise nur in sehr geringen Mengen eingesetzt, so dass eine gesundheitsschädliche Wirkung nahezu ausgeschlossen werden kann.
Was also tun, wenn einen die Lust auf Süßes packt? Es bleiben immer noch die überall erhältlichen Obstsorten, Früchte und Beeren. Sie enthalten ebenfalls Traubenzucker und Fruchtzucker, allerdings in verträglichen Konzentrationen sowie in Verbindung zahlreicher gesunder Begleitsubstanzen wie z.B. Ballaststoffe, Vitamine, Mineralien, Spurenelemente sowie sekundären Pflanzenstoffe.
Zuckersteuer
Zurück zur Zuckersteuer. Ihre Einführung würde die Konzentration von Haushaltszucker, Maissirup, Milchzucker und natürlich süßenden Zutaten in Fertigprodukten und Softdrinks sicher reduzieren. Die Industrie würde die klassischen Süßungsmittel jedoch durch Zuckeraustauschstoffe sowie synthetische Süßstoffe ersetzen. Diese Entwicklung zeigt sich in zahlreichen Ländern, in denen bereits eine Zuckersteuer existiert.
Der süße Geschmack von Zuckeraustauschstoffen und synthetischen Süßstoffen führt jedoch -ebenso wie herkömmliche Süßungsmittel- zu einer Sekretion von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse, wie Wissenschaftler der Universität Basel kürzlich zeigen konnten. Die darauffolgende Unterzuckerung führt zu Heißhunger und zur Aufnahme von Energie aus anderen Nahrungsmitteln. Diesen Effekt macht man sich deshalb auch in der Schweine- und Rindermast zunutze. Was hätten wir dadurch gewonnen? Vermutlich nichts! Bisher konnte nämlich nicht gezeigt werden, dass die Einführung einer Zuckersteuer zu einem messbaren Rückgang bei der Entwicklung von Übergewicht und Fettleibigkeit geführt hätte.
Fazit
Aus diesem Grunde plädiere ich für die Einführung einer „gesunden Mehrwertsteuer“. Frische sowie unverarbeitete bzw. naturbelassene Lebensmittel werden von der Mehrwertsteuer befreit. Stark verarbeitete Zutaten (Zucker, Auszugsmehl, gehärtete Fette, raffinierte Öle und isolierte Proteinextrakte) sowie daraus industriell oder handwerklich erzeugte Fertigprodukte (z.B. Milchprodukte, Wurst- und Backwaren, Pizzas, Müslis etc.) werden auf den erhöhten Mehrwertsteuersatz von 19% (oder höher) angehoben. Damit würden gezuckerte Lebensmittel automatisch teurer werden.
In einer randomisiert kontrollierten Studie konnte 2019 erstmals gezeigt werden, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Konsum von stark verarbeiteten Fertigprodukten und der Entwicklung von Übergewicht gibt: KD Hall et al. Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metabolism 2019; 30, 67–77. https://doi.org/10.1016/j.cmet.2019.05.008
Verfasser
Dr. F.-W. Dippel, Hohen Neuendorf
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Anja Hess, Heike Schulz und Tina Vogel
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Titelbild: Pressmaster / envato.elements.com
Bild Vanille und Zimt; vmariia/ envato.elements.com
Gnubbel 16. Februar 2024
Also ich wäre dafür, dass der Finanzminister lieber die Finger von unserer Nahrung lassen sollte. Wenn ich so täglich höre und lese, was die Wissenschaft unter „gesunder Ernährung“ versteht und dass es sogar schon eine Reihe Städte gibt, die null Fleisch und null Milchprodukte propagieren (wo eigentlich jeder, der sich ein wenig in Biologie auskennt, wissen sollte, dass tierische Proteine vor allem für das kindliche Gehirn essenziell sind), dann halte ich das nämlich für keine gute Idee. Viel besser wäre doch, den Kindern in der Schule ein solides Grundwissen über den menschlichen Stoffwechsel beizubringen, dann würden die schon von selbst darauf kommen, was ihrem Organismus gut tut. Alles andere würde dann der Markt regeln, denn Dinge, die nicht mehr gekauft werden, verschwinden über kurz oder lang aus den Regalen.
Anja Hess 19. Februar 2024
Danke für deine Sicht auf die Dinge! Ein sehr guter Ansatz! Prävention ist immer eine gute Idee!