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Durchbruch für mehr Kindergesundheit

Wie Zucker das Gehirn schädigen kann

Durchbruch für mehr Kindergesundheit

Iris und ich haben einen weiteren interessanten Gastbeitrag von Dr. Dippel erhalten. „Durchbruch für mehr Kindergesundheit“ ist ein aktuelles Thema, denn Kinder verkörpern unsere Zukunft. Sollen sich Kinder gut entwickeln, ist eine gesunde Ernährung ein Muss. Doch die Masse an Süßwaren mit der passenden Werbung ist ein nicht zu vernachlässigendes Problem.

 

Zur Person: Dr. rer. med. Franz-Werner Dippel hat Biologe studiert und in Medizin promoviert. Er hat mehr als 20 Jahre Industrieerfahrung in verschiedenen Funktionen der Herz-Kreislauf- und Stoffwechselforschung. Seit 2018 ist er Gaststudent an der TU Berlin und als freiberuflicher Dozent für Gesundheit und Ernährung tätig.

Durchbruch für mehr Kindergesundheit

von Dr. rer. med. Franz-Werner Dippel

 

Durchbruch für mehr Kindergesundheit

Durchbruch für mehr Kindergesundheit

Seit Jahren steigt die Anzahl übergewichtiger und fettleibiger Kinder in Deutschland an. Laut den Ergebnissen der zweiten Welle der KIGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind derzeit 9,5 % der Kinder und Jugendlichen (3 – 17 Jahre) überge­wichtig, 5,9 % sogar adipös. Das entspricht etwa 2 Mio. übergewichtigen und ca. 800.000 adipösen Kindern (1)

 

Mediziner und Ernährungswissenschaftler machen dafür unter anderem die intensive Vermarktung von Süßigkeiten und Softdrinks durch die Lebensmittelwirtschaft verantwortlich. Zahlreiche wissenschaftliche Studien geben ihnen jetzt Recht! Kürzlich erschienen zwei von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Auftrag gegebene systematische Übersichtsarbeiten. Beide belegen eindeutig, dass Werbung für ungesunde Lebensmittel das Ernährungsverhalten (Vorlieben, Auswahl, Kaufentscheidung) von Kindern prägt, und den Verzehr von Süßig­keiten und Softdrinks erhöht (2, 3).

 

So zeigt die von Boyland et al. durchgeführte Metaanalyse (3) einen statistisch hoch signifikanten Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und Nahrungsaufnahme bei Kindern und Jugendlichen. Eine Verstärkung der Werbung verursacht eine Zunahme des Konsums (Standardisierte Mittelwertdifferenz 0.25; 95% Konfidenzintervall 0.15 – 0.35; p-Wert < 0.001). Der Gesamteffekt war robust gegenüber zahlreichen Störgrößen, wie in Sensitivitäts- und GOSH-Analysen gezeigt werden konnte.

 

Die Studienautoren kommen in beiden Analysen überein­stimmend zu der Einschätzung, dass der dauerhafte Konsum stark zucker-, fett und salzhaltiger Süßwaren mittelfristig zu einer Fehler­nährung führt und langfristig die Entwicklung von Übergewicht und nicht-übertragbaren Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen fördert.

 

Auf Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz sprechen sich die Autoren der beiden Reviews einhellig für staatliche Maßnahmen zur Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel aus.

 

Zu viele Süßigkeiten schaden der Kindergesundheit

Zu viele Süßigkeiten schaden der Kindergesundheit

Werbung für Süßigkeiten zielt darauf ab, das Konsumverhalten der Kinder und Jugendlichen zu beein­flussen. Wenn es um ungesunde Lebensmittel geht und sie auf eine leicht zu beeinflussende Gruppe abzielt, ist dies besonders bedenklich.

 

Alle Selbstverpflichtungsmaßnahmen der Süßwarenindustrie haben bisher keinen Erfolg gebracht. Für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, ist ein freiwilliger Ansatz deshalb nicht zielführend.

 

Aus diesem Grund hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir, wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, am 27.03.23 einen Gesetzentwurf zur Einschränkung der an Kinder (unter 14-Jährige) adressierten Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und/oder Salzgehalt vorgelegt (4). Wesentliche Inhalte sind:

  • Werbeverbote in allen für Kinder relevanten Medien zwischen 6 und 23 Uhr
  • Außenwerbung auf Plakaten für ungesunden Produkte im Umkreis von 100 Metern um Schulen, Kitas, Spielplätze und Freizeiteinrichtungen für Kinder.
  • An Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und/oder Salzgehalt.

 

Zukünftig dürfen also nur noch solche Lebensmittel an Kinder vermarktet werden, die den Nährwertkriterien der Weltgesundheitsorganisation ent­sprechen (5). Für das geplante Gesetz ist eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen.

 

Die Reaktion der Süßwarenlobby hat nicht lange auf sich warten lassen. In der Pressemitteilung des Bundesverbands der Deutschen Süßwaren­industrie (BDSI) vom 28.02.23 behauptet deren Hauptgeschäftsführer Dr. Carsten Bernoth, es existierten keine wissenschaftlichen Unter­suchungen zur Wirksamkeit von Werbeverboten auf die Entwicklung von kindlichem Übergewicht (6). Diese Äußerung ist zynisch und unrichtig!

 

Die deutsche Süßwarenindustrie ist nicht gerade dafür bekannt, gesunde Produkte herzustellen. Schokoladenerzeugnisse, Bonbons, Speiseeis, Schaumzuckerwaren, Kekse, Waffeln, Kuchen, Kartoffelchips sowie Brause- und Getränkepulver gehören nicht zu den Grundnahrungs­mitteln. Süßwaren zeichnen sich i.d.R. durch einen hohen Gehalt an reinem Zucker, industriell verarbeiteten Fetten sowie zahlreichen Zusatzstoffen aus.

 

Deutlich wird das z.B. an Gummibärchen. Sie bestehen im Wesentlichen aus Zucker, Traubenzucker, Glukosesirup, Pektin, Pflanzenöl, Wasser und Gelatine. Zusätzlich enthalten sie Farb- und Geschmacksstoffe sowie Binde-, Säuerungs- und Überzugsmittel.

 

Sie gehören damit zur Gruppe der hochver­arbeiteten Fertigprodukte und sind nach Ansicht zahlreicher medizini­scher und ernährungswissen­schaft­licher Fachgesellschaften nicht für den täglichen Verzehr geeignet. Es handelt sich vielmehr um Spezialitäten bzw. Delikatessen im Rang von Genussmitteln, die besonderen Gelegen­heiten vorbehalten bleiben sollten.

 

Der menschliche Organismus ist genetisch nicht auf den regelmäßigen und dauerhaften Konsum von Süßwaren und Softdrinks ausgelegt. Mit der Zeit versagen seine Regulationsmechanismen und er reagiert mit Übergewicht und Fettleibigkeit. Übergewicht seinerseits stellt schließlich den Nährboden für zahlreiche Zivilisationserkrankungen dar. Somit ist es eigentlich an der Süßwarenindustrie, die gesundheitliche Unbedenklich­keit ihrer Produkte nachzuweisen (Beweislastumkehr).

 

Mit der geplanten Werbeeinschränkung durch den Bundesernährungs­minister werden die Süßwaren nicht vom Markt verschwinden, ihr Kon­sum könnte dadurch aber auf ein vertretbares Maß reduziert werden.

 

 Kindergesundheit beginnt in der Küche

Kindergesundheit beginnt in der Küche

Selbst der Discounter Lidl hat angekündigt, die auf Kinder abzielende Werbung für ungesunde Süßwaren einzustellen. Ausgenommen davon bleiben lediglich Sonderaktionen z.B. zu Weihnachten und Ostern. Lidl setzt damit als erster deutscher Lebensmitteleinzelhändler eine ent­sprechende Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um (7).

 

Andere Länder greifen härter durch. In Mexiko ist es z.B. seit 2014 nicht zulässig, in TV und Kino problematische Produkte an Kinder zu ver­mark­ten (8). Kanada hat bereits 1980 ein Gesetz erlassen, das Werbung für Fast Food und Spielzeug an Kinder unter 13 Jahren in gedruckten und elektronischen Medien verbietet (9). Laut einer Studie der University of British Columbia wurde infolge des Werbeverbots 13 Prozent weniger Fast Food konsumiert (10).

 

Seit 2016 gibt es auch in Chile strenge gesetzliche Auflagen zur Kenn-zeichnung und Vermarktung von Lebensmitteln. Danach müssen alle Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett, Kalorien oder Salz ganz deutlich auf der Vorderseite des Produktes gekennzeichnet werden. Alle so gekennzeichneten Produkte dürfen zudem nicht mehr in Schulen verkauft werden. Tagsüber zwischen 6 und 22 Uhr darf für derartige Produkte keine Fernsehwerbung mehr ausgestrahlt werden. Auch gezielte Werbung für unter 14jährige ist verboten. Sämtliche Comic-Helden und Zeichentrickfiguren sind von den Verpackungen verschwunden. Dank dieser Maßnahmen geht die Fettleibigkeit in Chile kontinuierlich zurück (11).

 

Es besteht also kein Zweifel daran, dass Werbung das Konsumverhalten und damit die Gesundheit von Kindern nachhaltig beeinflussen kann. Der deutsche Gesetzgeber sollte sich der vorliegenden Evidenz anschließen und dem guten Beispiel anderer Staaten folgen, zum Wohl unserer Kinder.

 

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Neuigkeiten

 

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Margret Ache und Iris Jansen

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Quellen des Artikels: Durchbruch für mehr Kindergesundheit

  1. Schienkiewitz A et al. Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitoring 2018; 3: 6-23
  2. Boyland E, McGale L, Maden M et al. Systematic review of the effect of policies to restrict the marketing of foods and non-alcoholic beverages to which children are exposed. Obesity Reviews. 2022; 23: e13447. wileyonlinelibrary.com/journal/obr 1 of 21. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/obr.13447
  3. Boyland E, McGale L, Maden M et al. Association of Food and Nonalcoholic Beverage Marketing With Children and Adolescents’ Eating Behaviors and Health. A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Pediatr. 2022; 176(7): e221037. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35499839/
  4. https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/024-lebensmittelwerbung-kinder.html
  5. WHO 2012: Set of recommendations on the marketing of foods and non-alcoholic beverages to children. https://www.who.int/publications/i/item/9789241500210
  6. https://www.bdsi.de/pressemeldungen/details/plaene-von-bundesminister-oezdemir-bedeuten-ein-totalverbot-von-suesswarenwerbung/
  7. https://www.presseportal.de/pm/58227/5412648
  8. Théodore FL, Tolentino-Mayo L, Hernández-Zenil E, et al. Pitfalls of the self-regulation of advertisements directed at children on Mexican television. Pediatr Obes. 2017;12(4): 312-319. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ijpo.12144
  9. Clark CR. Advertising Restrictions and Competition in the Children’s Breakfast Cereal Industry. https://www.journals.uchicago.edu/doi/10.1086/519820
  10. Dhar T, Baylis K. Fast-Food Consumption and the Ban on Advertising Targeting Children: The Quebec Experience. https://journals.sagepub.com/doi/10.1509/jmkr.48.5.799
  11. Dillman Carpentier FR, Correa T, Reyes M, Taillie LS. Evaluating the impact of Chile’s marketing regulation of unhealthy foods and beverages: pre-school and adolescent children’s changes in exposure to food advertising on television. Public Health Nutr. 2020; 23(4): 747-755. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31822317/

 

 

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