Typ-1-Diabetes und LCHF, geht das?
„Ist LCHF für Typ-1-Diabetiker zu empfehlen?“, diese Frage wurde uns aktuell gestellt. Unsere Meinung: Ja, Typ-1-Diabetes und LCHF-Ernährung passt, denn diese Ernährungsform kann den Blutzuckerspiegel stabilisieren und den Bedarf an hohen Insulindosen verringern.
Doch wir geben zu bedenken: Sei extrem vorsichtig, wenn du deine Ernährung auf LCHF umstellst, da das Mahlzeiteninsulin zwingend angepasst werden muss. Möglicherweise sind sogar noch weitere Anpassungen erforderlich, denn es kann zu einer Reduzierung des Bedarfs von bis zu 70 % kommen. Daher solltest du auf jeden Fall deinen Arzt mit ins Boot holen.
Typ-1-Diabetes und LCHF, geht das?
Was ist Typ-1-Diabetes
Typ-1-Diabetes entsteht, wenn der Körper nicht (mehr) in der Lage ist, das Hormon Insulin zu produzieren. Insulin hält den Blutzuckerspiegel unter Kontrolle, indem es den Transport der Glukose aus dem Blutkreislauf in die Körperzellen unterstützt, wo sie als Energie genutzt wird. Da bei Typ-1-Diabetes ein (absoluter) Mangel an körpereigenem (selbst produziertem) Insulin besteht, wird diese Krankheit mit Insulininjektionen behandelt, die in der Regel mehrmals täglich verabreicht werden.
Früher stand Typ-1-Diabetes als “ juveniler (jugendlicher) Diabetes“ in den Lehrbüchern , weil er in der Regel bei Kindern und jungen Erwachsenen diagnostiziert wurde. Fakt ist jedoch, dass er in jedem Alter auftreten kann. auch bei älteren Menschen. So gibt es zum Beispiel eine Fallgeschichte einer 94 Jahre alten, schlanken Frau ohne familiäre Vorgeschichte von Diabetes, bei der noch in diesem hohen Alter Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde.[1]
Insulin und Kohlenhydrate
Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Kohlenhydraten und dem Bedarf an Insulin. Je mehr Kohlenhydrate eine Person mit Typ-1-Diabetes zu sich nimmt, desto mehr Insulin muss sie spritzen. Es sollte daher nicht überraschen, dass Studien und klinische Erfahrungen zeigen, dass kohlenhydratarme Diäten für Menschen mit Typ-1-Diabetes von Vorteil sein können.[2] [3]
Auszug aus einer Pressemitteilung
Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung[4] des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke: „Kohlenhydrate zählen zu den Grundnährstoffen. Zu ihnen gehören alle Zucker- und Stärkearten und die meisten Ballaststoffe. Die Aufnahme von Kohlenhydraten erhöht vorübergehend den Blutzuckerspiegel. Besonders Traubenzucker oder Lebensmittel wie Weißbrot lassen den Blutzuckerspiegel rasch ansteigen. Ein Maß für die Blutzuckererhöhung, die durch ein Nahrungsmittel ausgelöst wird, ist der glykämische Index (GI). Die bisherigen Daten lassen annehmen, dass eine Diät mit niedrigem GI das Risiko für Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen senken kann.“
Mögliche Auswirkungen von Typ-1-Diabetes
Bei Typ-1-Diabetikern sind häufig die Blutzuckerwerte und als Folge davon auch das Hämoglobin A1c (HbA1c) dauerhaft erhöht. Dadurch werden die kleinen und großen Blutgefäße (Mikro- und Makroangiopathie) und die Nerven geschädigt. Mögliche Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen[5], diabetische Netzhaut- und Nierenerkrankungen, Nervenstörungen und der sogenannte diabetische Fuß. So werden jährlich in Deutschland etwa 50.000 Fußamputationen aufgrund von Diabetes durchgeführt. Wegen dieser Nebenwirkungen wird ein „normaler“ Blutzuckerwert angestrebt und entsprechend viel Insulin verabreicht, was leider unerwünscht tiefe Werte nach sich ziehen kann. Was wiederum ebenfalls zu drastischen Komplikationen führen kann. So gibt es laut einer Studie[6] aus dem letzten Jahr starke Hinweise, dass Patienten mit einer schweren Hypoglykämie (Unterzuckerung) in der Vorgeschichte im Vergleich zu Typ-1-Diabetikern ohne diese Komplikation ein 66% höheres Risiko haben an einer Demenz zu erkranken. Noch stärker gefährdet waren Patienten mit einer stationär behandelten Hyperglykämie (erhöhter Blutzuckerspiegel), hier war das Demenz-Risiko mehr als doppelt so hoch. Am schlechtesten schnitten Patienten ab, die sowohl mit einer Hypo- als auch mit einer Hyperglykämie stationär behandelt wurden. Das Demenzrisiko war in diesem Fall sogar um das Sechsfache erhöht. Das macht deutlich, wie gefährlich es sein kann, wenn der Blutzucker extrem schwankt.
Ein Verschätzen der zu sich genommen Kohlenhydrate und dadurch die falsche Mahlzeiteninsulin-Dosis zu injizieren bedeutet bei einem Typ-1-Diabetiker eine Hypo- oder eine Hyperglykämie und folglich eine langfristig schlechte Blutzuckereinstellung! Wird zum Beispiel keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Kohlenhydraten, wie langsam verdauliche Kohlenhydrate, die im Gemüse vorkommen oder schnell verdauliche Kohlenhydrate, die im Weißbrot vorkommen, gemacht, kann es schon extreme Blutzuckerschwankungen geben.[7]
Die Makronährstoffzusammensetzung der Mahlzeiten
Unter Makronährstoffe werden Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß verstanden. Aus diesem Stoffen bestehen in der Regel unsere Mahlzeiten. Was jedoch oft nicht berücksichtigt wird, ist die unterschiedliche Reaktion des Blutzuckers darauf.
So haben Studien bei Typ-1-Diabetikern gezeigt, dass die Menge an Fett und Eiweiß in einer Mahlzeit den Blutzucker nach dem Essen beeinflusst. Insbesondere ist bekannt, dass Fett den Blutzuckeranstieg in den ersten 2 bis 3 Stunden nach dem Essen abschwächt und den Spitzenwert aufgrund der verlangsamten Magenentleerung verzögert. Während der Verzehr großer Eiweißmengen ohne Kohlenhydrate keine Auswirkungen auf den Blutzucker hat, führt der Verzehr großer Eiweißmengen mit Kohlenhydraten zu einem höheren Blutzuckerspitzenwert.[8]
Unterschiedliche Effektivität der Insulinaufnahme
Eine Studie[9], die bei Patienten mit Typ-1-Diabetes durchgeführt wurde, zeigte, dass im Vergleich zur Injektion von Insulin aspart (vertrieben unter den Markennamen NovoLog und Fiasp) in normales Bauchgewebe die Injektion in lipohypertrophiertes Gewebe ( Lipohypertrophie bezeichnet geschwulstartige Verdickungen des Unterhautfettgewebes) zu einer 25%igen bzw. 22%igen Abnahme der Insulinwirkung führte.
Der Vorteil bei Typ-1-Diabetes und LCHF
Für Typ-1-Diabetiker bedeutet der Verzehr kohlenhydratreicher Lebensmittel und die damit verbundenen hohen Insulindosen, dass der Blutzuckerspiegel eher Achterbahn fährt, als dass er sich in einem gesunden Bereich bewegt. Das wiederum bedeutet im Umkehrschluss: Je weniger Kohlenhydrate gegessen werden, desto weniger Insulin muss gespritzt werden und somit bleibt das Blutzuckerniveau konstanter. Gibt es Beweise für diese Aussage? Auch wenn sich die meisten Studien mit Typ-2-Diabetes beschäftigen, gibt es doch einige aussagekräftige Studien für Typ-1-Diabetes.
Diese Studie[10] vom vorletzten Jahr bestätigt, dass eine kohlenhydratarme/proteinreiche Ernährung zu weniger glykämischen Schwankungen und Hypoglykämien führt.
Im Jahr 2019 zeigte eine weitere hochwertige Studie[11], dass 10 Personen mit Typ-1-Diabetes, die 12 Wochen lang weniger als 100 Gramm Kohlenhydrate pro Tag zu sich nahmen, stabilere Blutzuckerwerte erreichten und weniger Episoden von Hypoglykämie hatten als Personen, die 250 Gramm Kohlenhydrate pro Tag zu sich nahmen.
Auch bestätigen Typ-1-Diabetiker wie Hanna Boëthius, Dr. med. Toralf Becher oder auch Jeff Heusserer durch ihre persönlichen Erfahrungen diese Aussage.
Wie viele Kohlenhydrate bei Typ-1-Diabetes?
Die optimale tägliche Kohlenhydratzufuhr bei Typ-1-Diabetikern ist natürlich unterschiedlich. Doch eine Beschränkung der Kohlenhydrate auf weniger als 100 Gramm pro Tag (liberales LCHF) ist oft ausreichend, um die Blutzuckerkontrolle zu verbessern und das Risiko einer schweren Hypoglykämie zu verringern.
Ein striktes LCHF oder Keto erfordert die geringste Menge an Insulin, was möglicherweise zu einer noch besser vorhersehbaren Blutzuckerkontrolle führt und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Blutzucker den ganzen Tag und die ganze Nacht über im gesunden Bereich bleibt.
Unbedingt beachten
Neben der Verringerung der Insulinmenge, die zur Deckung des Bedarfs der Mahlzeitenkohlenhydrate benötigt wird, müssen möglicherweise weitere Anpassungen vorgenommen werden, wie z. B. die Verringerung der Basalinsulindosis. Daher wird in dieser Phase zwingend geraten, den Weg zusammen mit dem zuständigen Arzt zu gehen.
Fazit der Frage: Typ-1-Diabetes und LCHF, geht das?
Eine LCHF-Ernährung kann für Typ-1-Diabeter die Risiken einer Hypo- und/oder Hyperglykämie reduzieren. Der Insulinbedarf ist durch die geringe Aufnahme der Kohlenhydrate einfacher zu berechnen und Rechenfehler fallen nicht so ins Gewicht wie bei einer High-Carb-Ernährung. Eine Ernährungsumstellung sollte dennoch generell vom zuständigen Arzt begleitet werden.
Typ-1-Diabetes und LCHF ist auf jeden Fall einen Versuch wert.
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Anja Hess, Heike Schulz und Tina Vogel
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Titelbild: Click_and_Photo| (c) licensed via Envato
[1] https://www.endocrine-abstracts.org/ea/0003/ea0003p16
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28345762/
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26965765/
[4] https://idw-online.de/de/news343704
[5] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31646295/
[6] https://n.neurology.org/content/97/3/e275
[7] https://academic.oup.com/ajcn/article/69/3/448/4694167?login=false
[8] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25998293/
[9] https://www.hindawi.com/journals/jdr/2018/1205121/
[10] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33769666/
[11] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30924570/