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Darum ist Kalorien zählen nicht notwendig!

Mythos

Darum ist Kalorien zählen nicht notwendig! Hormone, Kalorien und das Märchen von der Energiebalance

Vielen Dank Julia Tulipan, für deine interessanten Ausführungen zum Thema Kalorien zählen. Dieser Artikel wurde bereits hier veröffentlicht: Darum ist Kalorien zählen nicht notwendig! Hormone, Kalorien und das Märchen von der Energiebalance Doch nun viel Spaß beim Lesen.

Was macht uns fett?

Glaubt man den offiziellen Gesundheitsempfehlungen ist die Antwort auf diese Frage einfach – zu viel Essen und zu wenig Bewegung.

Das Hauptkonzept dieser Idee ist, dass am Ende des Tages mehr Kalorien konsumiert als verbraucht wurden und dies zu einem Zuwachs an Körperfett führt. Die vermeintliche Lösung ist so simpel wie die Ursache, nämlich weniger zu Essen und mehr Sport zu betreiben.

In diesem Artikel werde ich auf folgende Punkte eingehen:

  • Warum „Eine Kalorie nicht eine Kalorie ist“
  • Hormonelle Wirkung von Lebensmitteln
  • Kalorienangaben sind ungenau
  • Reaktion des Körpers auf ein kalorisches Defizit

Physik vs. Biologie

Das “Kalorie-Konzept” welches die Basis dieser Empfehlung bildet ist auf den ersten Blick überzeugend, doch zahlreiche Studien und Erfahrung aus der Praxis lassen an diesem Konzept ernsthaft zweifeln.

Das Problem mit diesem Konzept ist, dass es unseren Körper als reinen “Verbrennungsmotor” sieht und geht davon aus dass ein Gramm eines bestimmten Nahrungsmittels X Kilokalorien an Energie liefert. Die Sache ist nur die, unser Körper ist kein Motor oder Ofen sondern ein komplexes System aus Enzymen, Hormonen und Regelkreisläufen. Eine untergeordnete Rolle spielt wie viele Kalorien ein Nahrungsmittel hat, von wesentlich größerer Bedeutung ist wie unser Körper auf das jeweilige Nahrungsmittel reagiert[1]. Die Aufnahme von Kohlenhydraten provoziert eine andere hormonelle Antwort als die Aufnahme von Protein oder Fett.

In einer ganz aktuellen Studie untersuchten Wissenschaftler aus Boston den Einfluss von Mahlzeiten mit unterschiedlichem GI (Glykämischer Index) aber identischen Kaloriengehalt[2]. Sie untersuchten die Wirkung auf das Gehirn, den Blutzucker und das Hungergefühl nach der Mahlzeit. Die Mahlzeit mit dem hohen GI führte zu einer deutlichen Stimulation von Gehirnarealen, die mit Belohnung und Verlangen assoziiert sind. Sie führte außerdem zu einem signifikanten absacken des Blutzuckers wenige Stunden nach dem Essen und einem damit verbundenen verstärkten Hungergefühl.

Die Wirkung von low-carb und high-carb auf Blutzucker und Plasma-Insulin

Fernemark, Hanna (2013)[3]

 

blutzucker_lc_hc

Abbildung 1 Wirkung von 3 Mahlzeiten mit unterschiedlichem GI auf den Blutzucker ROT: konventionell fettreduziert (45-56% Kohlenhydrate) GRÜN: mediterrane Diät (Intermittierendes Fasten, großes Mittagessen mit 35% Kohlenhydraten), BLAU: moderat kohlenhydratreduziert (16-24% Kohlenhydrate)

Plasma Insulin

Abbildung 2 Wirkung von 3 Mahlzeiten mit unterschiedlichem GI auf Insulin. ROT: konventionell fettreduziert (45-56% Kohlenhydrate) GRÜN: mediterrane Diät (Intermittierendes Fasten, großes Mittagessen mit 35% Kohlenhydraten), BLAU: moderat kohlenhydratreduziert (16-24% Kohlenhydrate)

Ist Energiebalance wirklich wichtig und können wir sie überhaupt bewusst regulieren?

Die Verfechter der “Negativen Energiebalance Hypothese” zitieren gerne das Gesetz der Thermodynamik. Darum möchte ich als erstes darauf eingehen.

Es gibt nicht nur EIN Gesetz, sondern vier und sie werden als Hauptsätze bezeichnet. Nur einer der 4 Hauptsätze ist für unsere Fragestellung relevant.

  1. Hauptsatz der Thermodynamik:

“Die Energie eines abgeschlossenen Systems bleibt unverändert. Verschiedene Energieformen können sich demnach ineinander umwandeln, aber Energie kann weder aus dem Nichts erzeugt noch kann sie vernichtet werden. “

Daraus leiten Ernährungsberater folgendes ab, was leider nicht ganz stimmt:

„Wer abnehmen will muss weniger Energie zu sich nehmen als er verbraucht. Da Energie nicht aus dem Nichts entstehen kann muss der Körper Fett verbrauchen um das Energiedefizit auszugleichen.“

Klingt logisch….aber es fehlen ein paar Aspekte!

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik ist natürlich sehr wohl richtig, allerdings handelt sich um ein theoretisch-physikalisches Konzept und es sagt nur aus, was physikalisch möglich oder nicht möglich ist. Es gibt uns keinerlei Information darüber wie der menschliche Organismus oder sonst ein biologisches System auf eine negative Energiebilanz reagiert.

„Nichts, in der Biologie macht Sinn, außer man betrachtete es im Licht der Evolution“

Dies ist der Titel eines 1979 veröffentlichten Essays des russische Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky, und es ist ein Grundsatz, der für das Verständnis biologischer Systeme notwendig ist.

“Es ist nicht die stärkste Art die überlebt, noch die intelligenteste. Es ist jene Art, die sich am schnellsten Änderungen anpasst.” – Charles Darwin

Die Antwort auf die Frage, wie der Körper auf eine negative Energiebilanz reagiert, kann uns nicht die Physik sondern nur die Biologie geben. Bevor ich auf einzelne Studien eingehe hier ein kurzer Überblick der Ergebnisse[4].

So reagiert der Körper auf ein chronisches Energiedefizit:

 

·        nimmt man weniger Energie zu sich, wird auch weniger Energie verbraucht

·        Verlangsamung aller Stoffwechselvorgänge

·        Absenken der Körpertemperatur

·        Absenken der Herzrate und Herzratenvariabilität

·        Hormonproduktion wird eingeschränkt

·        Muskelmasse wird abgebaut – Muskelmasse ist energetisch teures Gewebe

·        Kognitive Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt (das Gehirn alleine braucht 25% der Energie)

·        und auch Körperfett wird abgebaut

 

Am Ende steht man schlechter da als vorher. Weniger Muskelmasse, keine Libido, keine Energie und einen herabgesetzten Energiebedarf. Das nennt man das den Jo-Jo-Effekt und kaum jemand hat ihn nicht schon erlebt. Wie, eine 2016 veröffentlichte Studie zeigte, dass sich er Stoffwechsel nach einer Extremdiät nie wieder erholt[5].

Das “Minnesota Starvation Experiment”

Im Schatten des zweiten Weltkriegs war nicht Übergewicht ein Problem sondern die von Hungersnöten gebeutelte europäische Bevölkerung. Um bessere Strategien für Hilfe in derartigen Ausnahmesituationen entwickeln zu können, wurde ein dramatisches Experiment durchgeführt.

starvation_experiment

Ein Jahr lang, von November 1944 bis Dezember 1945 sollten 36 junge, gesunde Männer in einem experimentellen Setting einer extremen Hungersituation ausgesetzt werden[6].

Das Experiment war in 4 Phasen aufgeteilt

Kontrollphase (12 Wochen):

Standardisierte Periode bei der alle Teilnehmer eine isokalorische Diät erhielten mit ca. 3200 kcal. Am Ende der 12 Wochen waren die 36 Teilnehmer leicht unterhalb ihres “Idealgewichts”. Außerdem wurden medizinische Untersuchungen durchgeführt um physiologische und mentale Gesundheit zu ermitteln.

Hunger-Phase (24 Wochen):

Während dieser 6 Monate wurde die Kalorienzufuhr auf ca. 1500 kcal pro Tag reduziert. Die Nahrung bestand aus Kartoffeln, Kohl, Rüben, Brot und Nudeln. Diese Nahrungsmittel wurden gewählt da diese typisch waren für die späteren Kriegsjahre.

Eingeschränkte Rehabilitationsphase (12 Wochen):

Die Teilnehmer erhielten eine streng kontrollierte Rehabilitations-Diät. Verschiedene Strategien betreffend Energiegehalt, Proteingehalt und Vitamingehalt wurden hier getestet.

Uneingeschränkte Rehabilitationsphase (8 Wochen):

In der letzten Phase durften die Männer so viel essen wie sie wollten. Energieaufnahme und Nahrungsmittelwahl wurden genau protokolliert.

Ergebnisse

  • Anstieg in div. psychologischen Erkrankungen: Depression, massiver emotionaler Stress,
  • Selbstverstümmelung
  • Obzessives Beschäftigen mit Essen sowohl in der Hungerperiode als auch während der Rehabilitationsphase.
  • eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit und Fokus
  • Abnahme der BMR (base-metabolic-rate) und Respreratorischen Quotienten (Umsatz von Sauerstoff pro Minute)
  • Abnahme der Körpertemperatur
  • Ödeme in den Extremitäten

Jeder, der schon einmal eine Diät gemacht hat, und versucht hat mit 1000kcal pro Tag die Anforderungen des täglichen Lebens zu meistern, wird ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Bewusstes “hungern” und Kalorienrestriktion sind keine nachhaltigen Strategien weder für Gewichtskontrolle noch führt es zu einer Verbesserung der allgemeinen Gesundheit.

Diese Studie sagt uns folgendes über Diäten und Gewichtsverlust

Hunger ist extrem belastend. Sowohl psychisch als auch physisch. Akuter Hunger ist erträglich, chronischer Hunger ist es nicht. Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit, Sexualität und Körpertemperatur nehmen hab. Chronisches Hungern führt zu obsessiver Beschäftigung mit Essen und dies bleibt auch über die Hungerphase hinaus erhalten.

So manch einer ist vermutlich schon über folgende Aussage gestolpert: Um ein halbes Kilogramm Fett zu verlieren muss man ein Defizit von 3500 Kcal erzeugen. Das Minnesota-Experiment zeigt, dass das NICHT stimmt.Die anfängliche Kalorienaufnahme war 1640 kcal pro Tag. Wendet man die oben genannte Rechnung an und geht davon aus, dass die Energieaufnahme bei 1640 kcal über den gesamten Zeitraum von 24 Wochen aufrechterhalten wird, so hätte jeder Teilnehmer mindestens 38,3 kg alleine an Körperfett verlieren müssen zusätzlich zu Wasser und Muskelmasse. Der durchschnittliche Gewichtsverlust war jedoch weniger als die Hälfte dieses Schätzwertes – nämlich 16,7 kg.

Je weniger man ist, um so größer muss das Defizit werden um weiter Gewicht zu verlieren und irgendwann wird man aufhören überhaupt Gewicht zu verlieren.

Die Männer in diesem Experiment brauchten zu beginn der Studie ca. 3200 kcal um ihr Gewicht zu halten. In der „Hunger Periode“ des Experiments bekamen die Männer nur ca. 1600 – 1500 kcal, die Männer verloren Gewicht und darauf hin nahm natürlich auch ihr Energiebedarf ab, somit musste auch die Kalorienmenge entsprechend nach unten angepasst werden um das gewünschte Defizit zu erreichen

Der Leiter der Studie, Ancel Keys – machte genau das. Er vertraute nicht blind auf die 3500 kcal-Defizit Formel sondern passte wöchentlich die Kalorienmenge für jeden Teilnehmer so an, um den gewünschten Gewichtsverlust von 25% erreichen zu können.

Dies bedeutete, dass Keys für manche Männer die tägliche Kalorienaufnahme auf 1000 kcal limitieren musste. Trotz dieser Maßnahmen erreichten ALLE Teilnehmer ein Plateau etwa in Woche 20 und KEIN weiterer Gewichtsverlust war möglich!

Der Körper wird ALLES in seiner Macht stehende tun um die Folgen von Hunger umzukehren.

In den letzten beiden Monaten des Experiments hatten die Teilnehmer unbegrenzt Zugang zu Essen. Das Verhalten, das die Männer zeigten ist nicht wirklich überraschend. Fressattacken und konstantes „Überessen“ waren die Folge. Ein Mann schaffte sogar 11 500 kcal an einem Tag zu essen. Alle Teilnehmer aßen im Schnitt mehr und manche sogar doppelt so viel als sie zu Beginn des Experiments zu sich genommen haben und viele fühlten sich trotzdem immer noch hungrig. Alle Männer haben ihr Ausgangsgewicht wieder erreicht und dieses im Schnitt sogar um 10% überschritten[7].

Kalorienzählen ist unnötig und in Wirklichkeit auch unmöglich

Einleitend habe ich erklärt, dass eine Kalorie nicht eine Kalorie ist. Der Körper reagiert sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Makronährstoffe Eiweiß (Protein), Fett und Kohlenhydrate. Im zweiten Teil bin ich auf den 1. Hauptsatz der Thermodynamik eingegangen und ich habe Anhand des „Minnesota Starvation Experiments“ gezeigt, was passiert wenn der Mensch einer Hungersituation über mehrere Wochen hinweg ausgesetzt ist.

In diesem Teil möchte ich erklären warum Kalorienzählen nicht funktioniert.

Kalorienzählen funktioniert nicht und ist unnötig

Kalorienzählen funktioniert nicht, weil es unmöglich ist, den genauen Kaloriengehalt in Nahrungsmitteln zu bestimmen.

Immer wenn man komplexe Zusammenhänge vereinfacht kommt es zu Problemen. Genau so ist es auch mit der ganzen Idee des Kalorienzählens. Es scheint einfach, mathematisch nachvollziehbar und logisch – doch es ist schlicht und ergreifend FALSCH.

Ein einfaches Rechenbeispiel:

Sarah ist 30 Jahre alt und Buchhalterin. Sie ist gut im bilanzieren und weiß mit Zahlen umzugehen. Sie möchte ihr Gewicht halten und beginnt daher Kalorien zu zählen, damit sie nicht mehr ist als sie verbraucht.

Problem Nr. 1: Echtes Essen hat keine Nähwertangaben

Um möglichst genau zu wissen wieviel Kalorien Sarah zu sich nimmt, kann sie nur noch Lebensmittel essen die mit Nährwertangaben versehen sind. Das bedeutet, nichts „natürliches“ kommt ab jetzt auf den Teller sondern nur noch abgepacktes,  in Fabriken vorproduziertes und im Labor auf seine Nährstoffzusammensetzung standardisiertes Essen.

Natürlich gibt es auch für Kohl oder Spinat Nährwertangaben, die jedoch nur einen Durchschnitt angeben. Irgendwann wurde einmal bestimmt wieviel Energie in 100kg rohen Kohl stecken und diese Info kann man auf den diversen Nährwerttabellen ablesen. JEDES Naturprodukt ist anders, den Kaloriengehalt beeinflussen zahlreiche Faktoren wie Erntezeitpunkt, Lagerung, Zubereitungsart, etc. Ein Huhn aus Freilandhaltung hat ein anderes Verhältnis von Fett zu Protein als ein Huhn aus Massentierhaltung. Ganz abgesehen davon wird sich auch die Fettsäurenzusammensetzung massiv unterscheiden.

Im Freilandhuhn habe ich viel mehr Omega-3 Fettsäuren, während im Massentierhaltungs Huhn die entzündungsfördernden Omega-6 Fettsäuren überwiegen.

Problem Nr. 2: Die Küchenwaage, dein ständiger Begleiter

Natürlich muss jeder Bissen akribisch abgewogen werden. Kleine Abweichungen von wenigen Gramm akkumulieren über die Tage und Wochen. Nur nach „Augenmaß“ zu gehen ist viel zu ungenau. Damit kann man  auch in Restaurants nicht essen – eine Kontrolle der verwendeten Zutaten ist praktisch nicht möglich. Und ob ein oder zwei Esslöffeln Öl verwendet wurden ist nicht nachvollziehbar.

Problem Nr 3: Nährwerttabellen sind ungenau

Nun isst Sarah nur noch abgepackte Sachen aus dem Supermarkt und wiegt jeden Bissen ab den sie sich in den Mund steckt. Trotzdem haben wir ein großes Problem – selbst bei Nährwertangaben auf abgepackten Lebensmitteln haben wir eine Ungenauigkeit von min. 10%. Zehn Prozent hören sich jetzt nicht nach viel an, in einer Welt in der man angeblich Kalorienzählen muss um sein Gewicht zu halten sind 10% ein gigantischer Fehler.

  • Angenommen Sarah isst pro Jahr ca. 730.000 kcal (365 Tage * 2000 kcal)
  • Ein Fehler von 10% bedeutet 73.000 kcal zu viel oder zu wenig
  • Ein Überschuss von 73.000 kcal pro Jahr würde eine Zunahme von ca. 9,4 kg reinem Fett bedeuten!

Ein „kleiner Fehler“ von 10% bei den Kalorien ergibt bis zu 9,4 kg mehr Körperfett

Fazit:

Selbst Sarah, die ein Musterschüler im Kalorienzählen ist, jeden Bissen abwiegt und nur abgepackte Nahrungsmittel zu sich nimmt um bei den Nährwertangaben eine maximal mögliche Genauigkeit zu erreichen, würde es nicht schaffen ihr Gewicht zu halten! Klingt das bekannt?

Das genaue Zählen von Kalorien ist eine Fantasievorstellung und in einer natürlichen Umgebung (also außerhalb eines Labors) nicht möglich und für das Erreichen sowie für den Erhalt eines gesunden Körpergewichts auch vollkommen unnötig. Außerdem wird die Nahrungsmittelqualität und Unterschiede in der hormoneller Reaktion und den Stoffwechselwegen vollkommen außer Acht gelassen.

Wir wissen also nun, dass zählen von Kalorien uns unserem Ziel nicht wirklich näher bringen wird. Aber, wie können wir nun kontrollieren, dass wir nicht mehr essen als wir verbrauchen? Wie bringen wir unseren Körper dazu GERNE Energie zu verbrauchen und aufgenommene Energie in den Aufbau von Muskelmasse, Knochen, Hormonen und Neurotransmittern zu stecken anstatt in Fettgewebe?

Kalorienangaben auf Lebensmitteln sind ungenau

Ich habe schon in mehreren Artikeln geschrieben, dass Nährwertangaben und Kalorienangaben auf Produkten sehr ungenau sind. Abgepackte und industriell hergestellte Lebensmittel haben Abweichungen von min. 10%. Je unverarbeiteter und natürlicher ein Lebensmittel umso ungenauer.

Wie viel Kalorien hat ein Apfel?

Lass uns annehmen, dass Du gerade deine Nahrungsaufnahme protokollieren möchtest und als Zwischenmahlzeit einen Apfel gegessen hast.

Geben wir „1 mittelgroßer Apfel, 130 g“ (www.fddb.de) in die Datenbank ein, so liefert sie dieses oder ein sehr ähnliches Ergebnis. Wieso dieses oder ein ähnliches Ergebnis? Jede Datenbank gibt andere Werte an. Es gibt keine „universell“ gültigen Werte.

Brennwert: 71 kcal
Protein;  0,4 g
Kohlenhydrate: 14,8 g
Fett: 0,1 g

 

Was beeinflusst die Zusammensetzung?

Lagerung

Während des Reifungsprozesses ist die Zuckerzusammensetzung einem Ab- und Umbauprozess unterworfen[8]. Je länger der Apfel gelagert wird, desto mehr Saccharose wird abgebaut und in Glukose und Fruktose umgewandelt[9] ebenso wird Fruktose zur Aufrechterhaltung der physiologischen Prozesse in Glukose umgewandelt[10].

Zubereitung

Ist der Apfel roh, gekocht oder püriert? Oder vielleicht in Smoothie- oder Saftform? Die Zubereitung beeinflusst, wie viel des Zuckers und vor allem, wie schnell der Zucker im Blut landet.

Erntezeitpunkt, Wetter, Anbaugebiet und Standort

Was für den Wein gilt, gilt auch für alle anderen Pflanzen. Die geografische Lage, der Standort und das Wetter haben großen Einfluss auf Mikro- und Makronährstoffgehalt einer Pflanze[11]. Sonnenstunden, Niederschlag und Temperatur – all das sind bestimmende Faktoren.

 

Es ist daher unmöglich allgemeingültige Aussagen über den Kaloriengehalt oder den Makronährstoffgehalt eines natürlichen Lebensmittels zu treffen. Die Berechnung der Makronährstoffe und Kalorien liefert daher allerhöchstens grobe Näherungswerte mit einer sehr großen Schwankungsbreite.

Zuckergehalt unterschiedliche Apfelsorten

 

Wildapfel und Kulturapfel im Vergleich

Wildapfel und Kulturapfel im Vergleich

Das Titel-Bild soll verdeutlichen: Alleine die Größe eines Apfels ist extrem unterschiedlich. Ohne Präzisions-Waage kann man nicht sagen, was „Ein Apfel“ bedeutet. Es hat mir mein Gesicht richtig zusammengezogen, als ich in den linken (Wildapfel) auf dem Bild gebissen hatte, so sauer war er. Der Gesamtzuckergehalt liegt je nach Sorte, zwischen 4,7 % und 34 %. Moderne Sorten wie Jonagold bestehen im Schnitt zu einem fünftel aus Zucker.

In unterstehender Tabelle sind mehrere Apfelsorten aufgelistet[12]. Der Gesamtzuckergehalt liegt je nach Sorte, zwischen 4,7 % und 34 %. Man sieht also, dass es gewaltige Unterschiede zwischen den einzelnen Apfelsorten gibt. Jetzt haben wir aber auch noch anderen Faktoren, wie Reifegrad, Lagerungsdauer und Anbaugebiet, die alle den Zuckergehalt und die Zuckerzusammensetzung beeinflussen!

Tabelle_zuckergehalt_apfel

Hofer, Melanie, et al. „Inhaltsstoffe alter Apfelsorten unter diätetischem Aspekt-Schwerpunkt Diabetes.“ Journal für Ernährungsmedizin 7.1 (2005): 30-33.

Zucker- und Säurewerte, BE, kcal und kJ-Werte ausgewählter Apfelsorten im Vergleich: Zucker ges = Gesamtzuckergehalt, Säure ges = Gesamtsäurehalt, FG = Frischgewicht

Illusion der Präzision

Die Vorstellung, wir bräuchten nur einfach alles in eine Tabelle eintragen, was wir so zu uns nehmen und dies würde uns dann das Abnehmen garantieren, ist verlockend – aber falsch. Sie ist falsch auf mehreren Ebenen.

 

Ist es möglich zu messen, wie viel Energie ein Mensch aufnimmt und wie viel er verbraucht?

JA

Ist es außerhalb eines Laboratoriums möglich?

NEIN

 

Unter Laborbedingungen und mit großem technischem Aufwand ist es möglich, die Aufnahme und den Verbrauch von Energie genau zu messen. In der frei lebenden Bevölkerung ist das nicht möglich. Nährwertangaben liefern Information darüber, ob ein Lebensmittel großteils aus Fett, Kohlenhydraten oder Protein zusammengesetzt ist, und diese Information ist für den Verbraucher nützlich. Weder Kalorienangaben, noch auf das Gramm genaue Makronährstoffangaben sind präzise Angaben. Die Ungenauigkeit liegt bei industriell verarbeiteten Lebensmitteln in etwa bei 10%, bei natürlichen unverarbeiteten Lebensmitteln eher bei 30-40% oder höher.

Die Angabe von Nährwerten ist extrem ungenau und liefert keinen Mehrwert

Regulation von Hunger und Sättigung

In diesem Teil möchte ich erklären, dass

  1. Wir in der Lage sind unsere Kalorienaufnahme unbewusst zu regulieren (Homöostase)
  2. Die „falsche“ Nahrung appetitstimulierend wirkt und die natürliche Regulation der Nahrungsaufnahme sabotiert

Wir sind in der Lage Kalorienaufnahme und Verbrauch unbewusst zu regulieren (Homöostase)

Der menschliche Körper ist ein empfindliches System welches nur in relativ engen Grenzen optimal funktioniert. Der pH Wert im Blut wird zum Beispiel innerhalb sehr enger Grenzwerte (7,35 – 7,45) durch diverse Puffersysteme reguliert. Sinkt der pH-Wert, wird das Blut also sauer, müssen überschüssige Protonen (H-Atome) aus dem System geschleust werden. Dies geschieht zum Beispiel über das Kohlensäure-Bicarbonat-Puffersystem, indem Bicarbonat (HCO3) ein Proton (H-Atom) bindet, zu Kohlensäure (H2CO3) wird und dann zu CO2 und H2O zerfällt und über die Lunge abgeatmet werden muss. In dem Fall wird die Atmung beschleunigt. Wir müssen nicht bewusst reagieren, huch…mein pH-Wert steigt – ich muss mehr atmen. Das passiert automatisch und wird durch ein ausgeklügeltes Regulationssystem gesteuert.

Genauso wie unser Körper den pH-Wert reguliert, regulieren wir auch Körpertemperatur, Blutdruck, Atmung, Herzschlag, Nährstoffbereitstellung, Energieaufnahme und Energieverbrauch. Essen ist so viel mehr als NUR Kalorien. Natürlich liefert Nahrung Energie, aber auch Vitamine, Mineralstoffe, Fette und Aminosäuren, die essentiell sind für die Aufrechterhaltung einer normalen Körperfunktion sind. Genau so wie unser Körper den pH-Wert kontrolliert, kontrolliert er auch alle Mikronährstoffe. Nehmen wir von einem Nährstoff zu wenig auf und sind die Kompensationsmechanismen des Körpers erschöpft so wird über diverse Signalkaskaden die Info an unser Gehirn weitergeleitet und dort entsprechendes Verhalten ausgelöst – nämlich ESSEN.

Hunger ist das Signal unseres Körpers, dass ihm etwas fehlt

Studien zum Thema Kalorienaufnahme

Regulation der Futteraufnahme nach Energiedichte bei Geflügel

Jeroch et al. 1999 Ernährung landwirtschaftlicher Nutztiere

  • Fazit: Je geringer die Energiedichte umso größer die aufgenommene Futtermenge

Selektive Futterauswahl nach dem Proteingehalt in der Nahrung (Schwein)

Diet selection in pigs: dietary choices made by growing pigs following a period of underfeeding with protein Kyriazakisa and G. C. Emmansa Animal Production. 1991. Volume 52. Issue 02. pp 337-346

  • Schweine gleichen ein vorrangegangenes Protein Defizit (oder Aminosäuren-Missverhältnis) aus, in dem sie gezielt Futtermittel nach ihrem Aminosäuregehalt selektieren.
  • Fazit: Bietet man Schweinen eine Wahl zwischen verschiedenen Futtermitteln an, so wählen sie eine Ernährung welche ihren Bedürfnissen angepasst ist.

“It is concluded that, where pigs are given a choice between foods of low and high protein contents, they will select a diet of a composition such that the effects of previous mis-feeding are corrected. Giving pigs a choice between an appropriate pair of foods allows them to select a diet of a composition suitable for their needs.”

Futterwahl nach möglichst optimaler Aminosäurenversorgung

Specific dietary selection for tryptophan by the piglet. Ettle T, Roth FX. J Anim Sci. 2004 Apr;82(4):1115-21.

  • Ferkel bevorzugen das Futter, welches die optimale Menge Tryptophan enthält und vermeiden Futtermittel mit einem weniger günstigen Tryptophangehalt.
  • Eine Unterversorgung mit Tryptophan beeinflusst die Futterwahl

Das gleiche Verhalten kann auch bei anderen Aminosäuren beobachtet werden wie z. B. bei Methionin

Evidence of a dietary selection for methionine by the piglet Roth FX, Meindl C, Ettle T. J Anim Sci. 2006 Feb;84(2):379-86.

  • Ferkel können zwischen Futtermitteln mit unterschiedlichem Methioningehalt unterscheiden.
  • Haben sie die Wahl, so wählen sie das Futter, welches ihnen eine bessere Methioninversorgung bietet.
  • Ferkel wählen Futter entsprechend dem Methioninbedarf. Nach einer Unterversorgung wird versucht den Mangel durch entsprechende Futterwahl und aufgenommene Menge wieder auszugleichen.

“In conclusion, the present data demonstrate that piglets are able to discriminate among diets of varying Met content. When given a choice, they prefer a diet better balanced for Met to a Met-deficient diet. As a result of the altered feeding pattern, piglets are able to partly redress the depressed performance and altered plasma AA pattern resulting from the ingestion of the diet more limiting in Met concentration.”

Was sagen uns diese Studien?

  • Es geht um viel mehr als nur Kalorien
  • Nährstoffversorgung und nicht unbedingt die Energiemenge reguliert die Nahrungsaufnahme
  • Unser Körper, genau so wie der von Schweinen, Hühnern und aller anderen Wirbeltiere, kann Defizite erkennen und wird versuchen dieses auszugleichen.
  • Nahrungsaufnahme und Hunger wird durch zahlreiche Regelprozesse kontrolliert und hat wenig mit Selbstkontrolle oder Willenskraft zu tun
  • Versorgen wir unseren Körper mit allen Nährstoffen, die er braucht so funktionieren die Regelprozesse und wir werden nur so viel essen wie wir wirklich brauchen – unbewusst und OHNE Kalorienzählen.

 

Meide Nahrung die appetitstimulierend wirkt und die natürliche Regulation der Nahrungsaufnahme sabotiert

Zähle Nährstoffe und kein Kalorien

Julia Tulipan. ist seit einem Monat  Mitglied des Redaktionsteams vom Low Carb – LCHF Magazin. Und sie ist Dozentin an der LCHF Akademie.

Titelbild: © tomer turjeman – Foltolia.com


[1] Massiera F,et al. A Western-like fat diet is sufficient to induce a gradual enhancement in fat mass over generations. J Lipid Res. 2010 Aug;51(8):2352-61. doi: 10.1194/jlr.M006866. Epub 2010 Apr 20.http://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/20410018

[2]Lennerz, Belinda et al., Effects of dietary glycemic index on brain regions related to reward and craving in men, Am J Clin Nutr September 2013 ajcn.064113,http://ajcn.nutrition.org/content/early/2013/06/26/ajcn.113.064113.abstract

[3] Fernemark, Hanna, et al. „A randomized cross-over trial of the postprandial effects of three different diets in patients with type 2 diabetes.“ PloS one 8.11 (2013): e79324.

[4] Effects of Semi-starvation on Behaviour and Physical Health. ©Eating Disorders Network, South East Scotland. Version: June 2009www.ednses.com. http://www.ednses.com/downloads/effects_of_semi-starvation.pdf

[5] Fothergill, Erin, et al. „Persistent metabolic adaptation 6 years after “The Biggest Loser” competition.“ Obesity (2016).

[6] Keys, A., Brožek, J., Henschel, A., Mickelsen, O., & Taylor, H. L., The Biology of Human Starvation (2 volumes), University of Minnesota Press, 1950.

[7] Leah M. Kalm and Richard D. Semba. They Starved So That Others Be Better Fed: Remembering Ancel Keys and the Minnesota Experiment J. Nutr. June 1, 2005vol. 135 no. 6 1347-1352 http://jn.nutrition.org/content/135/6/1347.full

[8] Sturm K, Stampar F. Seasonal variation of sugar and organic acids in apple (Malus domestica Borkh.) in different growing systems. Phyton 1999; 39: 91–6

[9] Chardonnet CO, Charron CS, Sams CE, Conway WS. Chemical changes in the cortical tissue and cell walls of calcium-infiltrated Golden Delicious apples during storage. Postharvest Biol Technol 2003; 28: 97–111

[10] Friedrich G, Neumann D, Vogl M. Physiologie der Obstgehölze. 2. Aufl. Springer Verlag, Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1986

[11] Kolbe, H. 1996. Einflussfaktoren auf Ertrag und Inhaltsstoffe der Kartoffel. Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.

[12] Hofer, Melanie, et al. „Inhaltsstoffe alter Apfelsorten unter diätetischem Aspekt-Schwerpunkt Diabetes.“ Journal für Ernährungsmedizin 7.1 (2005): 30-33.

julia@paleolowcarb.de

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