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Ketogene Ernährung bei Krebs – die Mechanismen erklärt

Kochbuch für Diabetiker aus dem Jahr 1917

Ketogene Ernährung bei Krebs

Dieser Artikel wurde zuerst auf paleolowcarb.de veröffentlicht.

Ketogene Ernährung bei Krebs – die Mechanismen erklärt

Der therapeutische Einsatz einer ketogenen Ernährung ist nicht neu. Bereits seit den 1930er Jahren wird eine ketogene Ernährung bei Kindern mit Epilepsie eingesetzt. Mit dem Aufkommen der ersten antikonvulsiven Medikamenten, wurde die metabolische Therapie in den Hintergrund gerückt. Heute findet eine ketogene Ernährung nur noch dann Anwendung, wenn das Kind nicht auf Medikamente anspricht.

Wir sehen also, eine bestimmte Ernährungsform als Therapie zu verwenden, ist selbst in der konventionellen Medizin, kein Ungewöhnliches Konzept.

Was hat jetzt die ketogene Ernährung mit Krebs zu tun und wie kann eine ketogene Ernährung therapeutisch bei Krebs eingesetzt werden?

Bevor wir in die Details eintauchen, möchte ich ganz kurz ein paar Worte zur Definition verlieren.

Eine Ernährung wird üblicherweise dann als ketogen Bezeichnet, wenn sie einerseits einer bestimmten Makronährstoffverteilung folgt, und zu einem nachweisbaren Anstieg  von Ketonkörpern im Blut führt. Dabei sollten die Ketonwerte min. über 0,5 mmol/l liegen.

Die Makronährstoffverteilung ist in etwa folgende: 70% Fett, 15% Protein und 5% Kohlenhydrate. Diese Verteilung ist nur ein Richtwert, da die genaue Aufteilung sowohl von der Person als auch vom Einsatzgebiet abhängt.

Gene oder Umwelt? Krebs als eine metabolische Erkrankung

Eine gesunde Zelle hat zwei Möglichkeiten Energie zu erzeugen, dies kann ohne Sauerstoff (anaerob) durch Glycolyse geschehen oder mit Sauerstoff (aerob) in den Mitochondrien, durch Citrat-Zyklus und Atmungskette.

Bei Krebszellen ist die Sache etwas anders gelagert. Krebszellen haben beschädigte Mitochondrien und verlassen sich daher zu beinahe 100% alleinig auf die Glycolyse. Fette und zu einem gewissen Teil auch Proteine können nur in den Mitochondrien zu Energie gemacht werden. Aus diesem Grund sind die meisten Krebszellen auf Zucker als Energieträger angewiesen.

Dies wurde bereits 1924 von dem Medizin-Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg erkannt. Er beschrieb als erster, dass die meisten Krebszellen ihren Energiebedarf durch eine hohe Glycolyser-Rate, gefolgt von Lactatfermentation im Zellplasma, decken[1]. Dies wird als der Warburg-Effekt bezeichnet. Diesen Umstand macht man sich heute, bei bildgebenden Verfahren, wie dem PET-CT, zu nutze. Der Patient erhält dabei eine Zuckerlösung mit radioaktiv markiertem Zucker. Krebszellen nehmen dann vermehrt diesen Zucker auf und erscheinen als leuchtende Flecken auf dem CT-Bild.

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PET-CT eines Patienten mit Lymphknotenmetastasen[2]

Doch auch bevor es Warburg gelang, den Mechanismus zu klären, war den Forschern bewusst, dass Tumorzellen eine besondere Vorliebe für Zucker haben und dass Krebs eine starke Stoffwechselkomponente hat. Bereits 1909 wurde eine Studie über den Einfluss einer ketogene Ernährung und Nahrungsrestriktion auf das Tumorwachstum veröffentlicht[3].

1929 von Crabtree[4], und dann auch 1947 von Tannenbaum[5] beschrieben, war den Forschern damals eines klar:

  • Tumorzellen haben beschädigte Mitochondrien
  • Tumorzellen benötigen in erster Linie Zucker
  • Sie brauchen besonders viel Zucker, wenn sie durch Strahlen- oder Chemotherapie geschädigt wurden
  • Krebs hat eine Stoffwechselkomponente und ist durch die Ernährung beeinflussbar

Das heißt, wie Forscher waren schon auf einer heißen Spur, bis etwas in der Biologie geschah, nämlich die Entschlüsselung der DNA-Struktur.

Seit der Entschlüsselung der Struktur der DNA durch Watson, Wilkins und Crick 1953[6], war der Hype nicht mehr aufzuhalten. Forschung, zu dieser Zeit, musste mit der DNA und unseren Genen zu tun haben. Dies war auch der Zeitpunkt, in dem sich der Fokus der Krebsforschung in diese Richtung verschob.

Der Stoffwechselaspekt der Krebserkrankung geriet in Vergessenheit. 

Cancer as a metabolic disease – ein Paradigmenwechsel

Mehr als 60 Jahre später, finden die alten Hypothesen von Tannenbaum, Crabtree und Warburg ihren Weg zurück in die Welt der Wissenschaft und Forschung. Es ist offensichtlich, dass die Ursache für die meisten Tumorerkrankungen viel mehr im Lebensstil als in den Genen zu finden ist. Krebs wird nicht umsonst zu den „Zivilisationskrankheiten“ gezählt, da Tumore in traditionell lebenden Kulturen praktisch unbekannt sind.

„Krebs ist eine Zivilisationskrankheit, und in Jäger-Sammlergesellschaften beinahe unbekannt“

So schreibt der kanadische Arzt J. A. Urquhart 1934 im Journal der Canadian Medical Association:

„I have not in my seven years‘ experience in the north seen a single case of malignancy in either Eskimo or Indian. It has been suggested to me that perhaps I have not met enough of the older, cancer-age people, or that perhaps the natives do not come to the hospitals as readily as in other parts of Canada. To this I may reply that my practice takes me in amongst the tribes very intimately, and I frequently have to live in their encampments while making my patrols among them. I therefore meet all types and ages. As for the hospitals, the natives appreciate them to the utmost and use them freely.”

Zurück zu den Wurzeln

Dr. Thomas Seyfried hat mit seinem, 2010 veröffentlichten Artikel, „Cancer as a metabolic disease“[7] praktisch den Stein ins Rollen gebracht und seither ist die Bedeutung der Ernährung und ins Besondere der ketogenen Diät als unterstützende Therapie, wieder in den Fokus der Forschung gerutscht.

Wie wirkt eine ketogene Ernährung auf Tumorzellen?

Auch wenn noch lange nicht alle Zusammenhänge restlos geklärt sind, so kennen wir doch schon einige potenzielle Wirkmechanismen. Ich kann in diesem Artikel nicht im Detail auf alle Aspekte eingehen, teilweise, weil es einfach den Rahmen sprengen würde, teilweise, weil ich mich dazu natürlich auch einfach zu wenig auskenne. Ich bin weder Mikrobiologe noch Onkologe. Man möge mir also verzeihen, falls ich die Wirkmechanismen vereinfache und möglicherweise nicht 100% korrekt darstelle.

Krebs ist der „perfekte Sturm“

Dr. Adrienne Scheck, Professorin am Institut für Neurobiologie des Barrow Neurological Institute in Phoenix AZ, bezeichnet Krebs als „den perfekten Sturm“. Viele Faktoren müssen zusammen kommen. Genetik und Stoffwechsel sind nicht zwei getrennte Dinge, sondern eng miteinander verbunden.

Dr. Scheck erforscht die Wirkung von Ketonkörpern auf das Tumorwachstum. Ein besonderes Interesse liegt vor allem in der Kombination klassischer  Strahlen- und Chemotherapie mit ketogener Ernährung, denn hiermit sieht man die besten Ergebnisse.

Ketose statt Fasten

Wir wissen bereits seit mehreren Jahrzehnten, dass sich Fasten nicht nur positiv auf den Alterungsprozess auswirkt, sondern auch Tumorwachstum hemmt[8] und die Wirkung der Strahlentherapie verstärkt.

Das Problem ist, dass Fasten eine relativ große psychische Belastung darstellt und die Gefahr des Gewichtsverlusts sehr hoch ist. Warum ist das bedenklich? Krebspatienten sind oft von einem dramatischen Abbau von Muskelmasse betroffen, dies wird auch als Kachexie bezeichnet. Ein Verlust von Muskelmasse sollte jedoch unter allen Umständen vermieden werden, da dies mit einer verminderten Überlebensrate einher geht.

Die Ketose stellt eine perfekte Alternative zum Fasten dar. Da durch die Ketose der gleiche Stoffwechselzustand erreicht wird, allerdings OHNE eines kalorischen Defizits.

Eine ketogene Ernährung wird von Patienten sehr gut angenommen und gibt das Gefühl „selber etwas tun zu können“. Dies ist auch ein wichtiger psychologischer Effekt, da sich viele Krebspatienten hilflos und ausgeliefert fühlen[9].

Insulin und Blutzucker

Insulin als Wachstumsfaktor und erhöhter Blutzucker als Hauptnahrungsquelle des Tumors spielen eine zentrale Rolle in der Krebstherapie. Ein erhöhter Blutzucker ist mit schlechteren Überlebensraten assoziiert[10]. Typ-2 Diabetes und Insulinresistenz sind Risikofaktoren für die Entstehung von Krebs[11]. Eine Meta-Analyse aus 2012, erschienen in „Hormones and Cancer“,  fand einen Zusammenhang zwischen Insulintherapie und dem Auftreten von Bauchspeicheldrüsenkrebs und Darmkrebs[12].

Es ist somit erstrebenswert, Insulin und Blutzucker niedrig zu halten. Der einfachste und angenehmste Web, die zu erreichen, ist die Restriktion der Kohlenhydrate. Wie Dr. Rainer Klement und Dr. Ulrike Kämmerer in ihrem, 2011 erschienen Artikel, beschreiben,  wirkt sowohl Insulin, als auch IGF-1 (Insulin-like-growth-factor-1) positiv auf das Tumorwachstum[13].

Ein weiterer Vorteil einer ketogenen Ernährung ist, dass der Blutzucker auch über einen längeren Zeitraum relativ niedrig gehalten werden kann OHNE dem Gefühl von Unwohlsein, Zittrigkeit und Schweißausbrüchen, wie es sonst bei Unterzucker zu erwarten wäre.

Interview mit Dr. Rainer Klement: Ketogene Ernährung und Krebs

Ketonkörper schwächen den Tumor und schützen gesunde Zellen

Ketonkörper sind epigenetisch wirkende Faktoren – Histone deacetylase Inhibitoren. Sie wirken auf das Genom der Tumorzelle, aber auch auf das der gesunden Zelle. Sie hemmen das Wachstum der Tumorzelle und schützen die gesunde Zelle vor Schäden der Bestrahlung aber auch der Chemotherapie. Gleichzeitig verlangsamen Ketonkörper die Fähigkeit des Tumors Zellschäden zu reparieren, sie erhöhen das Ausmaß des Zellschadens und die Anzahl an geschädigten Tumorzellen[14].

mTOR

Ketonkörper wirken hemmenden auf bestimmte Signalwege in Tumorzellen, die das Wachstum aber auch die Reparatur von Zellschäden wirken. So erhöht eine ketogene Ernährung AMPK (AMP-aktivierte Proteinkinase). Sobald AMPK ansteigt, wird mTOR gehemmt.  Die Rolle von mTOR im Tumorwachstum und eine Hemmung dieses Faktors ist Gegenstand intensiver Forschung[15]. Neben Medikamenten wie Metformin, hemmen auch Ketonkörper mTOR[16]

HIF-1α

Was ist HIF-1α? Hierzu die kurze Definition aus der Wikipedia: „Hypoxie-induzierter Faktor (HIF) ist ein Transkriptionsfaktor, der die Versorgung der Zelle mit Sauerstoff reguliert, indem er eine Balance zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffversorgung herstellt.“

Was hat das mit Krebs zu tun? HIF-1α sorgt in Tumorzellen dafür, dass die Glycolyse auf Hochtouren rennt. HIF-1α schützt Tumorzellen auch vor oxidativem Stress und Zellschäden. Eine ketogene Ernährung reduziert die Aktivierung von HIF-1α in der Tumorzelle[17].

Abschließende Gedanken

Die Bedeutung einer kohlenhydratreduzierten Ernährung, sowohl was Prevention als auch Behandlung, von Tumorerkrankungen betrifft, ist meiner Meinung nach nicht hoch genug einzuschätzen. Was die Pioniere der Forschung vor mehr als 70 Jahren erkannten und erst jetzt aus seinem „Dornröschenschlaf“ aufgeweckt wurde ist, die Erkenntnis, dass Zucker und Insulin treibende Faktoren sind bei der Entstehung und dem Wachstum von Krebs ein maßgebliche Rolle spielen.

Mehr Information und weiterführende Links

Dr. Rainer Klement – Klinik Schweinfurt

Ulrike Kämmerer – Universitätsklinik Würzburg

Patricia Daly – Ketogenic Diet for Cancer Patients (spricht Deutsch)

Andrew Scarborough – My brain cancer story

Dominic DiAgostino – University of Florida

Christiane Wader – Ketolumne

Vielen herzlichen Dank für diesen sehr informativen Artikel, Julia Tulipan.  Sie ist seit einem Monat  Mitglied des Redaktionsteams vom Low Carb – LCHF Magazin und Dozentin an der LCHF Akademie.

Bücher

Krebszellen lieben Zucker

Ketogene Ernährung bei Krebs

Das Keto-Prinzip


[1] Alfarouk, Khalid O., et al. „Glycolysis, tumor metabolism, cancer growth and dissemination. A new pH-based etiopathogenic perspective and therapeutic approach to an old cancer question.“ Oncoscience 1.12 (2014): 777-802.

[2] Akira Kouchiyama [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

[3] Moreschi C. Beziehungen zwischen Ernährung und Tumorwachstum. Zeitschrift f Immunitätsforschung Originale. 1909;Bd.II:651–675.

[4] Crabtree, Herbert Grace. „Observations on the carbohydrate metabolism of tumours.“ Biochemical journal 23.3 (1929): 536.

[5] Tannenbaum, Albert. „Effects of varying caloric intake upon tumor incidence and tumor growth.“ Annals of the New York Academy of Sciences 49.1 (1947): 5-18.

[6] Letters to nature: Molecular structure of Nucleic Acids (Originalveröffentlichung von Watson und Crick zur DNA-Struktur 1953; PDF; 198 kB) LINK

[7] Seyfried, Thomas N., and Laura M. Shelton. „Cancer as a metabolic disease.“ Nutrition & metabolism 7.1 (2010): 1.

[8] Saleh, Anthony, et al. „Caloric restriction augments radiation efficacy in breast cancer.“ Cell cycle 12.12 (2013): 1955-1963.

[9] Klement, Rainer J., and Reinhart A. Sweeney. „Impact of a ketogenic diet intervention during radiotherapy on body composition: II. Protocol of a randomised phase I study (KETOCOMP).“ Clinical Nutrition ESPEN (2016).

[10] Derr, Rachel L., et al. „Association between hyperglycemia and survival in patients with newly diagnosed glioblastoma.“ Journal of Clinical Oncology 27.7 (2009): 1082-1086.

[11] Perseghin, Gianluca, et al. „Insulin resistance/hyperinsulinemia and cancer mortality: the Cremona study at the 15th year of follow-up.“ Acta diabetologica 49.6 (2012): 421-428.

[12] Janghorbani, Mohsen, Mohsen Dehghani, and Mohammad Salehi-Marzijarani. „Systematic review and meta-analysis of insulin therapy and risk of cancer.“ Hormones and Cancer 3.4 (2012): 137-146.

[13] Klement, Rainer J., and Ulrike Kämmerer. „Is there a role for carbohydrate restriction in the treatment and prevention of cancer?.“ Nutrition & metabolism 8.1 (2011): 1.

[14] Abdelwahab M.G., Fenton K.E., Preul M.C., Rho J.M., Lynch A., Stafford P., Scheck A.C. The ketogenic diet is an effective adjuvant to radiation therapy for the treatment of malignant glioma. PloS One. 2012;7(5):e36197

[15] Zhou, Hongyu, Yan Luo, and Shile Huang. „Updates of mTOR inhibitors.“ Anti-cancer agents in medicinal chemistry 10.7 (2010): 571.

[16] McDaniel, Sharon S., et al. „The ketogenic diet inhibits the mammalian target of rapamycin (mTOR) pathway.“ Epilepsia 52.3 (2011): e7-e11.

[17] Klement, Rainer J. „Restricting carbohydrates to fight head and neck cancer—is this realistic?.“ Cancer biology & medicine 11.3 (2014): 145.

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