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Zucker macht doch süchtig – Kampfansage an das gluco-zentrische Weltbild

Studie

Vielen Dank für diesen Gastartikel, liebe Julia Tulipan. Zucker ist und bleibt ein Problem in unserer Welt, die Kampfansage ist dringend notwendig.

Dieser Artikel wurde zuerst auf paleolowcarb.de veröffentlicht.

Dieser Artikel ist eine Antwort auf einen Zeitungsartikel, der am 14.04. 2016 in den Salzburger Nachrichten und auf derstandard.at veröffentlicht wurde. Der Titel der Artikels „Zucker macht nicht süchtig und nicht krank“.

Der Artikel auf derstandard.at stammt aus dem Jahr 2013. Die Formulierung sind sehr ähnlich dem Artikel aus den Salzburger Nachrichten. Tja, das Internet vergisst nichts – auch nicht abschreiben von alten Artikeln.

Bevor ich auf den Inhalt des Artikels eingehe, möchte ich eine Sache vorab bemerken. Zucker ist eine gewaltige Industrie, es geht um Milliarden von Euro. Zucker ist überall.

Die Zuckerindustrie hat schon lange ihre Finger mit im Spiel, wenn es darum geht, nationale Richtlinien und Forschung zu beeinflussen. Eine Forschungsgruppe um Cristine Kearns, von der University of California, veröffentlichte erst 2015 einen Artikel zu dem Thema[1]. Sie durchsuchten Unterlagen, des verstorbenen emeritierten Professors Roger Adams. Adams war Mitglied der Sugar Research Foundation (SRF) und wissenschaftlicher Ratgeber der International Sugar Research Foundation (ISRF), welche später zur World Sugar Research Organization wurde.  Diese Dokumente enthielten 1551 Seiten Korrespondenz, Meeting-Mitschriften und Reports aus den Jahren 1959 bis 1971.

Die Analyse zeigte, dass zwischen 1960 und 1970, eine intensive Beziehung zwischen dem National Institute of  Dental Research und der Zuckerindustrie bestand. Alle Mitglieder des Expertengremiums der  Zuckerindustrie waren, bis auf eine einzige Person, auch Mitglied des Expertengremiums der NIDR. Die Autoren der Studie schlussfolgern: „ Diese Vorgehensweise erinnert sehr stark an das, was wir schon bei der Tabak-Industrie sahen“.

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Einer der Autoren, Laura Schmith, die auch Hauptverantwortliche der UCSF SugarScience Initiative ist, sagt: „Wir haben robuste Beweise, dass übermäßiger Zuckerkonsum einen starken Zusammenhang zu Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Lebererkrankungen zeigt.“

Wer glaubt, bei uns in Europa wäre das anders, den muss ich leider enttäuschen. Der Journalist Hans-Ulrich Grimm deckt die engen Verknüpfungen zwischen Industrie und staatlichen Einrichtungen auf. So schreibt er in seinem Buch „ Wie sie die Zucker-Mafia krank macht“ –

[…] Der oberste Repräsentant staatlicher Ernährungsforschung in Deutschland ist zugleich hoher Funktionär einer Lobbyorganisation der Food-Industrie. Dies geht aus einem neuen Buch des Nahrungskritikers Hans-Ulrich Grimm hervor, das jetzt im Droemer Verlag erschienen ist. Professor Gerhard Rechkemmer, Präsident des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel, ist zugleich Vorstandsmitglied im International Life Sciences Institute Europe (Ilsi), das von Firmen wie Coca-Cola, Nestlé und Monsanto getragen wird und Forschung und Gesetzgebung im Interesse der Food-Industrie beeinflusst. […]

Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht

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Nun zum eigentlichen Artikel: „Zucker macht nicht süchtig und nicht krank“ von Barbara Morawec. Erschienen am 14.04. 2016 in der Rubrik Wissen/ Gesundheit der Salzburger Nachrichten.

Die Autorin des Artikels zitiert einerseits den Epidemiologen Heiner Boeing und den Psychiater Prof. Dr. Michael Musalek. Herr Boeing behauptet „Zucker macht  nicht krank“.  Er sieht keinen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und der steigenden Rate an Diabetes Typ 2. Seiner Meinung nach würden die Leute einfach zu schnell und zu viel essen.

Das erste Problem ist, das man aus Beobachtungsstudien (Epidemiologische Studien) niemals Ursache und Wirkung ablesen kann. Beobachtungsstudien können in eine Richtung weisen, die dann als Hypothese formuliert wird und in klinischen Studien falsifiziert werden muss. Das ist der wissenschaftliche Weg. Auf welche Datenbasis sich Herr Boeing bezieht, bleibt unklar (leider keine Referenzen angegeben). Eine einfache Pubmed Suche zeigt doch ein konträres Bild:

2016 – British Journal of Sports Medicine[2]

Consumption of sugar sweetened beverages, artificially sweetened beverages, and fruit juice and incidence of type 2 diabetes: systematic review, meta-analysis, and estimation of population attributable fraction.

Conclusio: Der Konsum von gesüßten Getränken erhöhte signifikant das Risiko für Diabetes, unabhängig von Übergewicht.

 

2014 – JAMA Internal Medicine[3]

Added Sugar Intake and Cardiovascular Diseases Mortality Among US Adults

Conclusio: Wir konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Konsum von zugesetztem Zucker und der Sterblichkeitsrate von Herz-Kreislauferkrankungen sehen.

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Zuckerwerbung aus den 60er Jahren

Offizielle Empfehlungen

WHO empfiehlt eine maximale Aufnahme von 25g Zucker. Das entspricht 6 Teelöffel. Ebenso die AHA (American Heart Assoziation)[4]. Es geht hier um jede Art von Zucker, sowohl zugesetzter als auch natürlich vorkommender. Schaut man sich den Zuckergehalt diverser Lebensmittel an, so wird eines klar, es ist verdammt schwer nicht mehr als 25 g Zucker pro Tag zu konsumieren.

Grafik: Zuckergehalt von typischen Lebensmitteln

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Der durchschnittliche Amerikaner nimmt 22 Teelöffel pro Tag an Zucker zu sich und Kinder im Schnitt 25 Teelöffel. In Deutschland und Österreich schaut die Sache nicht wesentlich besser aus.

Die Idee, dass Zucker eine Gefahr darstellen könnte ist nicht neu. Bereits 1967 publizierte der britische Wissenschaftler John Yudkin seine Hypothese. Zu diesem Zeitpunkt war die USA aber bereits auf dem Anti-Fett Trip, und unter der Führung von Ancel Keys, wurde die Arbeit von Yudkin nicht ernst genommen.

Yudkin, John, and Jill Morland. „Sugar intake and myocardial infarction.“ The American journal of clinical nutrition 20.5 (1967): 503-506.

 

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John Yutkin – Pure, White and Deadly

 

 

Zucker macht nicht süchtig – tatsächlich?

In zweite Aussage in dem Artikel lautet „Zucker macht nicht süchtig“. Hier zitiert die Autorin den Psychiater Dr. Michael Musalek. Dr. Musalek sagt, es gibt keine Zuckersucht, denn Zucker weise keine psychotropen (Wirkung auf die Psyche) Eigenschaften auf.

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Dr. Michael Musalek

Dies ist eine persönliche Interpretation des Begriffes der Sucht und steht nicht im Einklang mit der offiziellen Definition. In der Medizin wird der Begriff wie folgt definiert:

Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums. In den Fachgebieten Psychologie und Psychiatrie werden verschiedene Formen von Abhängigkeit beschrieben:

  1. Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen (substanzgebundene Abhängigkeit, stoffliche Abhängigkeit, s. a. Toleranzentwicklung),
  2. Schädlicher Gebrauch von körperlich nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen,
  3. Substanzungebundene Abhängigkeit (nichtstoffliche Abhängigkeit), sowie
  4. Co-Abhängigkeit, wenn Tun oder Unterlassen von Bezugspersonen die substanzgebundene Abhängigkeit einer Person stärkt.

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Quelle: aus dem Film FedUp

Zuckersucht – Fakt und nicht Fiktion

2008 – Neuroscience & Behaviour Research[5]

Evidence for sugar addiction: Behavioral and neurochemical effects of intermittent, excessive sugar intake

Conclusio: Neuronale Veränderungen wurden beobachtet, unter anderem Veränderungen an den Dopaminrezeptoren, Enkephalin mRNA Expression und Dopamin und Acetylcholin-Release in den Nucleus Accumbens.  In Ratten konnten Entzugserscheinungen beobachtet werden.

 

2001 – Neuroreport[6]

Excessive sugar intake alters binding to dopamine and mu-opioid receptors in the brain.

Conclusio: Zuckerhaltige Nahrung stimuliert Gehirnbereiche, die auch bei Suchtmitteln stimuliert werden.

 

2009 – Journal of Nutrition[7]

Sugar and Fat Bingeing Have Notable Differences in Addictive-like Behavior

Conclusio: Zucker erzeugt opioidartige Entzugserscheinungen, nicht jedoch Fett.

 

Naloxon reduziert Nahrungsaufnahme

Was ist Naloxon? Hier die Definition aus der Wikipedia:

„Naloxon ist ein Opioid-Antagonist und gehört mit Naltrexon zu den reinen Opioidantagonisten, die als kompetitive Antagonisten an allen Opioidrezeptoren wirken. Damit heben sie die Wirkungen, die durch Opiate und Opioide verursacht werden, teilweise oder ganz auf. Naloxon wird in der Humanmedizin als Arzneistoff verwendet.“

Naloxon/ Naltrexon wird in der Notfallmedizin als Gegenmittel bei Opioatüberdosen (Heroin, Methadon) verwendet.

 

1997 – Europe PMC Behavior & Psychology

Effects of naltrexone on food intake and changes in subjective appetite during eating: evidence for opioid involvement in the appetizer effect.

Conclusio: Naltrexon hatte einen hemmenden Effekt auf die Nahrungsaufnahme. Diese Ergebnisse lassen auf eine Rolle von Opioidrezeptoren bei der Stimulation von Appetit und Nahrungsaufnahme zu spielen.

2013 – Oreos wirken wie Heroin

In einer kleinen Studie, des Connecticut College, testeten Studenten unter der Leitung von Joseph Schroeder, Direktor des Behavioral Neuroscience Programs, die Reaktion von Ratten auf Oreo-Kekse und verschiedene Drogen wie Kokain und Morphine. Das erschreckende Ergebnis. Die Ratten verbrachten gleich viel Zeit damit Kekse zu essen, wie high durch die Drogen zu werden. Die Studenten noch etwas anderes sehen. Ein Protein, das mit der Aktivierung des Belohnungszentrums des Gehirns steht, c-Fos, wurde gemessen. Oreos aktivierten dieses Protein signifikant stärker als Kokain[8]!

Dies sind nur einige der zahlreichen Studien, die zeigen, dass es definitiv eine Suchtkomponente bei Zuckerverzehr gibt.

Fazit – Zucker macht süchtig und krank

 

„Wer die Wahrheit nicht kennt, ist nur ein Dummkopf.

Wer sie allerdings kennt und sie eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher.“

Galileo Galilei

 

Rund 70 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen in Deutschland sind übergewichtig, jeder fünfte Deutsche ist fettsüchtig (BMI 30 und darüber)[9].

Die reißerische Schlagzeile ist irreführend und spielt die ernsten gesundheitlichen Kosequenzen des Zuckerkonsums herunter. Dr. Robert Lustig sagt, dass wir in 20 Jahren vielleicht Zucker so betrachten, wie heute das Rauchen.

Zucker ist überall. Es geht nicht nur um die „üblichen“ Verdächtigen, wie Süßigkeiten und Schokolade. Zucker hat den Weg in viele Lebensmittel gefunden, in denen man auf den ersten Blick, keinen Zucker vermuten würde. Wurst, Käse, Jogurts, Pizza und Saucen. Zucker ist günstig und er schmeckt uns. Zucker macht uns hungrig und er macht, dass wir mehr essen, als wir eigentlich benötigen. Die Fett-Hysterie hat dazu geführt, dass die Industrie fettreduzierte oder fettfreie Lebensmittel produziert hat. Doch nimmt man einen Geschmacksträger weg, muss ich das durch irgendetwas kompensieren – also kommt Zucker rein.

 

Video von Dr. Robert Lustig: Sugar – The Bitter Truth

 

Dokumentation: Fed Up

Fed Up the Movie – Official Home Page

Das Buch „Pur, weiß, tödlich“ von John Yudkin und Robert Lustig können Sie hier bestellen.

www.LCHF-Deutschland.de


[1] Cristin E. Kearns, Stanton A. Glantz, Laura A. Schmidt. Sugar Industry Influence on the Scientific Agenda of the National Institute of Dental Research’s 1971 National Caries Program: A Historical Analysis of Internal Documents. PLOS Medicine, 2015; 12 (3): e1001798 DOI: 10.1371/journal.pmed.1001798

[2] Imamura, Fumiaki, et al. „Consumption of sugar sweetened beverages, artificially sweetened beverages, and fruit juice and incidence of type 2 diabetes: systematic review, meta-analysis, and estimation of population attributable fraction.“ (2015): h3576.

[3] Yang, Quanhe, et al. „Added sugar intake and cardiovascular diseases mortality among US adults.“ JAMA internal medicine 174.4 (2014): 516-524.

[4] Johnson, Rachel K., et al. „Dietary sugars intake and cardiovascular health a scientific statement from the american heart association.“ Circulation 120.11 (2009): 1011-1020.

[5] Avena, Nicole M., Pedro Rada, and Bartley G. Hoebel. „Evidence for sugar addiction: behavioral and neurochemical effects of intermittent, excessive sugar intake.“ Neuroscience & Biobehavioral Reviews 32.1 (2008): 20-39.

[6] Colantuoni, C., et al. „Excessive sugar intake alters binding to dopamine and mu-opioid receptors in the brain.“ Neuroreport 12.16 (2001): 3549-3552.

[7] Avena, Nicole M., Pedro Rada, and Bartley G. Hoebel. „Sugar and fat bingeing have notable differences in addictive-like behavior.“ The Journal of nutrition 139.3 (2009): 623-628.

[8] https://www.conncoll.edu/news/news-archive/2013/student-faculty-research-suggests-oreos-can-be-compared-to-drugs-of-abuse-in-lab-rats.html#.VyBIo6iLShc

[9]Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/11/PD14_386_239.html

 

Original Artikel aus dem Standart 15 Februar 2013: http://derstandard.at/1360681654569/Zucker-macht-nicht-suechtig-oder-zuckerkrank

 

 

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