Obst und Gemüse „5-am-Tag“, diese knackige Aussage kennen wir alle. Hat sie sich bewährt? Unser Teammitglied Melanie Ryan beleuchtet das Thema für uns.
Obst und Gemüse – ein unzertrennliches Paar?
Manchmal kommt es einem so vor, als müsste dem Wort „Obst“ zwingend das Wort „Gemüse“ folgen.
„Obst und Gemüse fördern die Verdauung.“
„Zum Abnehmen empfehlen wir mehr Gemüse und Obst.“
„Die Deutschen essen zu wenig Gemüse und Obst.“
„Kinder sollten mehr Obst und Gemüse essen.“
Die Ernährungspyramide macht auch keinen großen Unterschied zwischen Obst und Gemüse, wobei gesagt werden muss, dass immerhin der Ernährungskreis der DGE das tut. Der Anteil an Gemüse ist hier sogar etwas größer als der von Obst. Auf der Schweizer sowie der österreichischen Lebensmittelpyramide müssen sich „Gemüse und Früchte“ eine Etage teilen – die Aufteilung ist gleich. Es ist erfrischend, dass die Schweiz einmal Gemüse zuerst nennt. Das ist sonst selten. Der „Ernährungsteller“ der USA trennt Gemüse und Obst auf dem Teller, wobei auch hier, wie bei der DGE, der Platz für Gemüse etwas größer ist als der für Obst. Der Ernährungsteller in Großbritannien („Eatwell Guide“ – von Ernährungswissenschaftlerin Zoe Harcombe stets „Eatbadly Guide“ genannt) vergibt ein Drittel des Platzes auf dem Teller an „Obst & Gemüse“ gemeinsam.
5-am-Tag
„5-am-Tag“ ist eine allgemein bekannte Faustregel, wie sie von der DGE empfohlen wird. Liest man sich die Richtlinien durch, dann sollen diese fünf Portionen aus drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst bestehen. Aber wer weiß das schon? In der Praxis begegnen mir sehr häufig Gemüsemuffel, die sorglos ihre 5-am-Tag exklusive aus Obst beziehen. Ich praktiziere in Großbritannien. Unser Eatwell Guide ist weniger spezifisch als die DGE: „Essen Sie täglich mindestens fünf Portionen verschiedenes Gemüse und Obst.“
Da hüben wie drüben die offiziellen Ernährungsrichtlinien in Frage gestellt werden, hat mein Dachverband BANT (British Association for Applied Nutrition and Nutritional Therapy) seinen eigenen „Teller“ veröffentlicht. Der verlangt „7-am-Tag“: fünf Portionen Gemüse, zwei Portionen Obst – in verschiedenen Farben. Der Teller für die, die Abnehmen wollen, zeigt sogar sechs Portionen Gemüse und nur eine Portion Obst.
Sind Gemüse und Obst irgendwie anders als andere pflanzlichen Lebensmittel?
Wie kommt es, dass „Gemüse und Obst“ immer in einem Atemzug genannt werden. Sind sie gleich? Haben sie die gleichen Inhaltsstoffe und Eigenschaften? Sind sie gleich gesund? Braucht man beides, oder kann eins das andere ersetzen?
Gut, ok, vieles was wir Verbraucher als Gemüse ansehen ist genaugenommen keins: Tomaten, Gurken und Avocado, zum Beispiel, sind botanisch gesehen Früchte. Rhabarber ist Gemüse. Aber lassen wir solche Feinheiten für den Moment einmal beiseite.
Werden Gemüse und Obst immer zusammengefasst, weil sie pflanzlich sind? Das kann es nicht sein, denn das sind Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte und Getreide auch.
Weil sie bunt sind? Vielleicht. Die meisten anderen sind ja beige, auch wenn Erbsen, Saubohnen, Kidneybohnen und Adukibohnen, zum Beispiel, Farbe aufweisen.
Weil sie vergleichbare Inhaltsstoffe haben? Vielleicht. Gemüse und Obst enthalten Vitamine und Mineralstoffe (das tun aber auch andere, inklusive tierische Lebensmittel) und – und hier kommen die Farben ins Spiel – reichlich sekundäre Pflanzenstoffe. Sind sekundäre Pflanzenstoffe exklusiv Gemüse und Obst vorbehalten? Nein. Alle pflanzlichen Lebensmittel enthalten mehr oder weniger Pflanzenstoffe.
Sind Gemüse und Obst austauschbar?
Das ist der Eindruck, der entsteht, wenn beide immer zusammen genannt werden, wenn Ärzte und Ernährungsberater und von mir aus auch die Werbung keinen Unterschied machen. Wie viele Patienten erzählen stolz, dass sie fünf Portionen Obst am Tag essen. „Und Gemüse?“ frage ich. „Mag ich nicht. Außer Kartoffeln. Aber die esse ich jeden Tag.“
Es gibt aber einen sehr wichtigen Unterschied: Obst kann sehr viel Zucker enthalten, während der Anteil an Zucker in Gemüse in der Regel niedriger ist.
Der britische Allgemeinmediziner David Unwin stellte fest: „Alle Diabetiker lieben Bananen.“ (Das kann ich bestätigen.) So setzte er sich hin und gestaltete ein paar Schaubilder, die den Zuckeranteil von anscheinend ‚gesunden‘ Lebensmittel in Teelöffeln darstellen. Diese zeigte er dann seinen Diabetes-Patienten und war damit enorm erfolgreich. 120g Banane enthält das Äquivalent von 6 Teelöffeln Zucker. 120g dunkle Trauben: 4 Teelöffel. 120g Erdbeeren: 1 ½ Teelöffel. 120g Aprikosen: 1 Teelöffel. Sogar Wassermelone, die ja doch sehr süß schmeckt, liegt noch unter 2 Teelöffeln.
Das ist der Grund, warum Obst und Gemüse nicht gleich sind, warum unsere „5-am-Tag“ oder auch „7-am-Tag“ nicht nur aus Obst bestehen sollten, sondern allenfalls zwei Portionen Obst. Weniger, wenn man abnehmen will oder unter Diabetes leidet.
Ist Obst Pflicht?
Nein, und das sagt einem auch keiner. Man kann sehr gut auch ohne Obst leben – nicht aber ohne Gemüse. Gemüse allein reicht aus, um uns mit Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen zu versorgen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Gemüse allein reicht natürlich nicht aus, um ausschließlich davon zu leben. Es ist nur nicht notwendig, Gemüse mit Obst zu ergänzen.
Unterm Strich:
- Essen Sie (wesentlich) mehr Gemüse als Obst.
- Wenn Sie Obst essen, begrenzen Sie es auf 1-2 Portionen am Tag und wählen Sie solche Sorten aus, die wenig Zucker enthalten.
- Gemüse brauchen wir, Obst nicht. Lassen Sie Obst ohne Sorge beiseite, wenn Sie sich vielleicht ohnehin nicht viel daraus machen.
Melanie Ryan
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