Vom Coach-Potato zum „Zuckersportler“
Vom Coach-Potato zum „Zuckersportler“
von Christian Stehle aus dem LCHF Magazin 4/2017.
Meine LCHF-Geschichte begann im Frühjahr 2015 im Alter von 37 Jahren. Nachdem ich wochenlang starken Durst hatte, wurde ich beim Hausarzt vorstellig. Dieser machte einen Bluttest und stellte einen Blutzuckerspiegel von über 400 mg/dl fest. Daraufhin wurde ich noch am gleichen Tag zum Diabetologen überwiesen. Abends setze ich meine erste Insulinspritze.
Diabetes – mit so was hatte ich nicht gerechnet. Für mich brach eine Welt zusammen, hatte ich bis dato eigentlich nie ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt. Zugegeben, als Vater von drei kleinen Kindern ist bei jeder Schwangerschaft meiner Frau auch ein wenig mehr an meinem Bauch hängen geblieben, bis ich schließlich bei über 105 kg angekommen war. Als jemand, der in seiner Jugend immer sehr schlank war, wurde ich schon öfters auf meine Figur angesprochen, selbst erkennt man diesen Wandel, der ja über viele Jahre geht, nicht wirklich.
Nun also Diabetes. Der Diabetologe tröstete mich. Er tippe darauf, dass es ein Typ-2-Diabetes sei, also eine Insulinresistenz. Da könnte man mit Tabletten und ein bisschen Abnehmen schon sehr viel erreichen. Die Hoffnung, das so in den Griff zu bekommen, schwand dann aber ein paar Tage später, als die Blutwerte vorlagen. Es wurden Antikörper gefunden, was bedeutet, dass die Insulin produzierenden Zellen nach und nach durch mein Immunsystem angegriffen werden und mit der Zeit immer mehr Insulin gespritzt werden muss. Der Arzt prophezeite mir, dass ich spätestens in sechs Monaten kein eigenes Insulin mehr produzieren würde. Dagegen könne ich nichts tun, außer mich mit meiner Situation abzufinden und mich bei ihm schulen
zu lassen.
Ich war geknickt und sah meine Zukunft nicht mehr ganz so rosig. Im Internet liest man ja immer über Insulin als Masthormon, sollte ich mit 40 Jahren als übergewichtiges Wrack enden? Das wollte ich definitiv nicht.
Doch welche war die richtige Strategie? Ich musste die verbleibenden Zellen der Bauchspeicheldrüse so schnell wie möglich entlasten. Einerseits durch eine Gewichtsreduktion – denn weniger Körpermasse bedeutet auch, weniger Arbeit für die Bauchspeicheldrüse. Und andererseits durch eine Steigerung der Insulinsensitivität – also dadurch, dass das körpereigene Insulin besser wirkt sowie durch eine Reduktion der Kohlenhydrate in der Nahrung. Drei Punkte, die mir durch ein wenig Recherche logisch erschienen. Jedoch auch drei Punkte, zu denen sich alle konsultierten Ärzte sowie Diätberaterinnen ausschwiegen! Hier galt die Empfehlung der DGE. Ich entschied mich für meinen eigenen Weg und dies war gut so.
Ich fing also an, mich zu bewegen und kaufte mir einen Fitnesstracker, um meine Bewegung festzuhalten. Am Tag mindestens 10.000 Schritte, oft waren es sogar 30.000 Schritte und mehr. Besorgungen oder Termine in der Stadt machte ich zu Fuß oder nahm das Rad, nach der Arbeit und auch sonntagsmorgens ging ich zwei Stunden im Wald spazieren. Ein Hörbuch- und Musik-Abo unterhielt mich dabei und nebenbei lernte ich die Natur neu kennen. Ich fing diese Momente mit der Kamera ein und kann mich so immer an diese Situation erinnern.
An Joggen war damals nicht zu denken, ich hätte meine Gelenke zu stark belastet. Erst musste das Gewicht reduziert werden.
Beim Essen verzichtete ich nicht sofort auf die Kohlenhydrate, sondern ließ zunächst Süßigkeiten weg und stellte auf Nahrungsmittel mit niedrigem glykämischen Index um. Wirklich glücklich machte mich das allerdings nicht. Als Nudel- und Pizzaliebhaber fand ich Vollkornalternativen alles andere als lecker. Die Atkins-Diät war mir damals schon ein Begriff und so bin ich nach etwas Recherche unweigerlich auf LCHF gestoßen. Ich begann, immer häufiger die Kohlenhydrate durch Fett zu ersetzen. Am Anfang hat mir vor allem abends das Brot gefehlt. In der Mensa tagsüber war es sehr schwierig, denn hier war das Essen nicht nur vom Preis her billig, sondern vor allem auch in der Zusammensetzung – sprich: immer Nudeln, Reis, Kartoffeln als Hauptbeilage. Gemüse, wenn überhaupt, nur als Farbtupfer und kaum mehr als solches zu erkennen. Kurzum, ich fing an mein Essen Zuhause vorzubereiten und nahm es zur Arbeit mit. Das mache ich auch heute noch so.
Ein Ergebnis auf der Waage ließ nicht lange auf sich warten. Die ersten 10 kg waren bis zum Herbst runter und ich machte mir Gedanken über meinen kalorischen Grundumsatz. Denn nicht nur Fett wurde abgebaut, auch die Muskelmasse wurde durch die Diät angegriffen. Dem musste ich durch Krafttraining entgegenwirken. Eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio kam nicht in Frage, zuhause konnte ich effektiver und öfter trainieren. So baute ich einen Hobbyraum in einen kleinen Fitnessraum mit Kraftmaschine und Hantelbank um.
Im Winter hatte sich mein Gewicht weiter reduziert und die Bänder und Gelenke waren so weit angepasst, dass ich die ersten Runden, anstatt zu gehen, gelaufen bin. Was für ein schönes Gefühl! Schnell wurden aus 2, 3 km dann 10 km am Stück. Doch ich schoss über das Ziel hinaus, ignorierte erste Schmerzen und lief direkt in ein „Runner’s Knee“ hinein, das mich für fast drei Monate wieder auf das Gehen zurückversetzte. Schuld daran waren auch die schiefen und steinigen Waldwege, seitdem laufe ich nur noch auf Asphalt.
Meine Verletzung war im Frühjahr dann soweit abgeklungen, dass ich einen ersten 10 km Wettkampf bestritt, mit vorsichtigen 59 Minuten. Ein toller Erfolg für mich, trotz der „roten Laterne“ in der Altersklasse. Zwischenzeitlich konnte ich mein Basalinsulin absetzen und das Mahlzeitinsulin habe ich nur noch gebraucht, um die wenigen Kohlenhydrate im Gemüse abzudecken. Ich war damals im ketogenen Stoffwechselzustand angekommen und mein Körper fing an, die Fettsäuren und Ketone effizient zu nutzen.
Je mehr ich mich mit der Thematik beschäftigte und recherchierte, desto klarer wurde mein Weg. Ich musste durch Training und Ernährung meinen Körper dazu bringen, vermehrt – auch bei Leistungsabruf – den Fettstoffwechsel zu nutzen. Hinsichtlich der Ernährung bedeutete dies, die Ketose durch maximal 5% Kohlenhydrate zu erzwingen. Beim Training unternahm ich immer mehr nüchtern längere Läufe. Das Trainingspensum lag
dann bei 3x Krafttraining und 4x Lauftraining pro Woche. Mein Gewicht ging immer weiter runter und im Sommer pendelte es sich irgendwo um die 80 kg ein und ich war im Normal-BMI angelangt.
Auch das Krafttraining zeigte seine Wirkung. Nicht nur hinsichtlich des Blutzuckerspiegels, auch optisch veränderte ich mich. Manch einer lief im Sommer an mir vorbei und erkannte mich nicht wieder. Zufällig stieß ich im Sommer dann auf das Buch „Primal Endurance“ von Mark Sisson. Mark Sisson war mir vorher überhaupt kein Begriff, doch das Buch holte mich ab. Es zeigte auf, wie man durch Lauftraining, Ernährung und Krafttraining
seinen Körper in ein „Fat Burning Beast“ verwandeln konnte – und er beschrieb exakt das, was ich das vergangene Jahr über
durchgemacht und mühsam im Internet recherchiert hatte!
„Der Primal Way of Life“ von ihm ist genau das, was mittlerweile meiner Philosophie entspricht. Für mich ist nicht das Ziel entscheidend, sondern der Weg. Nicht ein Wettkampf ist das Ziel, sondern das stete Training.
Heute bin ich so fit wie nie, und mein Insulinbedarf ist minimal. Selbst bei körperlicher Aktivität bleibt mein Blutzuckerspiegel konstant und ich gehe weder in den Unterzucker noch muss ich Auswüchse nach oben mit Insulin korrigieren. Mein Arzt ist mit meinem HbA1C-Langzeitwert von 5 natürlich sehr zufrieden – dieser entspricht dem eines Gesunden – obgleich es ihn eigentlich nicht interessiert, wie ich diesen Wert erreiche. Für manch einen stellt eine so strikte Ernährungsweise ohne Nudeln und Brot vielleicht einen Verzicht dar, für mich ist es eindeutig ein Zugewinn an Lebensqualität.
Lesen Sie mehr auf meinem Blog: www.zuckersport.de
Christian Stehle
Bildrechte: Christian Stehle, Pixabay
Weitere tolle Erfolgsgeschichten finden Sie auf www.lchf-deutschland.de. Unter anderem die von My Westerdahl, die mit der LCHF-Ernährung 94 Kilo abnahm. Ihre Erfolgsgeschichte „Die LCHF-Ernährung hat mir das Leben gerettet“ finden Sie hier
Das Thema Sport wird im Herbst auf dem „Keto und Sport – Fachkongress“ näher beleuchtet.
Am 20. Oktober treffen sich Experten und Gesundheitsinteressierte zu spannenden Vorträgen, Diskussionsrunden und zum fachlichen Austausch rund um das Thema Keto und Sport.
Schwerpunktthemen sind
Ausdauersport, Fitness, Kraftsport | Trainingspläne und deren Durchführung | Rehabilitation und Prävention | Bewegung im Alltag | Grundmobilität und Muskelkräftigung | Ernährung und Stoffwechseloptimierung.
Für ein gesundes Herz stehen
Ernährung, Bewegung sowie Stressminderung und Schlaf im Fokus.
Die kompetenten Referenten für Keto und Sport
Dr. med. Volker Dahmen: Internist mit Schwerpunkt Kardiologie, Ausdauersportler
Josef Heusserer: Keto Practitioner (selbst Typ-1-Diabetiker) und Radsportler
Christian Rumerskirch: Trainer und Kraftsportler
Mag. Julia Tulipan: Biologin und Cross Fit Sportlerin
Lesen sie hier mehr zum Kongress und zu den Referenten: Keto und Sport