Da dieses Jahr keine KetoLive Conference in der Schweiz stattfinden kann, werfen wir einen Blick zurück auf das Jahr 2019: Wir haben für Sie ein spannendes und extrem informatives Interview von Ulrike Gonder mit Ivor Cummins.
Interview mit Ivor Cummins, Irland
anlässlich der 1. KetoLive Conference im schweizerischen Bergün, 10.-14.6.2019
Ivor Cummins ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um Fragen rund um Herzgefäße, Verkalkung, Infarkt, Cholesterin, Risikofaktoren, Insulinresistenz und die passende Ernährung dazu geht, seine Internetseiten sind eine wahre Fundgrube. Dabei hatte er beruflich zunächst überhaupt nichts mit Gesundheitsfragen zu tun, denn Cummins ist Ingenieur im Bereich Biochemie und technische Lösungen. Aus persönlichen Gründen befasst er sich jedoch seit 2012 damit, die Ursachen weit verbreiteter Zivilisationskrankheiten zu erforschen, zu verstehen und sie auszuschalten. Da er in seinem Beruf bis dahin Teams bei komplexen Problemlösungsprozessen geleitet hatte, ging er nun mit der gleichen akribischen und lösungsorientierten Einstellung an sein neues Aufgabenfeld.
Heute ist Ivor Cummins ein weltweit angesehener Redner, Blogger und Forscher wenn es um die Ursachen von Herz- und Gefäßkrankheiten, Diabetes und Übergewicht und deren Behandlung durch Ernährung und andere Lebensstilfaktoren geht. 2018 erschien von ihm und dem amerikanischen Arzt Jeffrey Gerber das Buch “Eat Rich, Live Long” (Iss gut und lebe lang). Sein Internetauftritt „The fat emperor“ (Der Fett-Kaiser/fette Kaiser) ist prall voll mit höchst informativen Videos, Podcasts und Vortragsmitschnitten.
Zudem leitet Ivor Cummins derzeit die gemeinnützige Organisation Irish Heart Disease Awareness (sinngemäß: Mehr Aufmerksamkeit für Herzkrankheiten, Irland, http://www.IHDA.ie). Es setzt sich dafür ein, dass mehr Menschen in mittlerem Alter ihr wahres Koronarrisiko kennen. Indem sie sich einem CT-Scan unterziehen, der zeigt, ob es bereits Kalziumablagerungen im Herzen gibt (Koronarer Kalzium-Scan).
Unser Teammitglied Ulrike Gonder hatte auf der KetoLive Conference im Juni Gelegenheit, die Vorträge von Ivor Cummins zu hören und mit ihm über einige Aspekte daraus zu sprechen. Sie fand nicht nur sein umfassendes und detailliertes Wissen beeindruckend, sondern auch seinen wunderbaren irischen Akzent.
UG: Ivor, Dein Podcast und Dein Internetauftritt heißen „The Fat Emperor“. Wie kamst Du auf diese Idee?
IC: Es ist eine dreifache Metapher: Der Name steht einmal für den „Kaiser mit den neuen Kleidern“ aus Hans Christian Andersens Märchen. Darin will niemand sehen, dass der Kaiser nackt ist. Genau so haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Wissenschaftler weggeschaut, wenn Forschungsergebnisse aufkamen, die der Dämonisierung der Fette und des Cholesterins als Auslöser von Herz- und Gefäßkrankheiten wiedersprachen. Sie wollten diese Evidenz schlicht nicht sehen. Das Fett steht zweitens für die explosive Ausbreitung der Adipositas, die wir durch dieses kollektive Wegsehen erlitten haben. Und drittens steht der Kaiser für jene Kräfte, die alle Strippen zogen, um das Fett-ist-schlecht-fürs-Herz-Szenario für alle Ewigkeit am Leben zu halten.
UG: Allerdings ist nicht nur dieses Szenario falsch. In Deinen Vorträgen weist Du darauf hin, dass auch die üblichen Risikoparameter maßlos überschätzt werden. Gibt es bessere Kennzahlen?
IC: Gesamtcholesterin oder auch das LDL-Cholesterin haben nur eine sehr geringe Aussagekraft. Die Quotienten aus Gesamt- und HDL-Cholesterin und aus Triglyzeriden und HDL-Cholesterin sind da schon deutlich besser. Mein Favorit neben dem Kalzium-Scan und dem HOMA-Index oder dem Kraft-Index zur Ermittlung einer Insulinresistenz ist das Leberenzym GGT (Gamma-Glutamyl-Transferase). Es ist der stumme Schrei der Leber, ein erhöhter Wert zeigt eine Insulinresistenz an und dass erhöhter oxidativer Stress vorliegt. Mit steigendem GGT steigt nicht nur das Diabetesrisiko – bei Schlanken um den Faktor 3, bei Adipositas um den Faktor 15 – es steigt auch die Sterblichkeit an Gefäßerkrankungen, an Krebs und die Gesamtsterblichkeit. Und zwar deutlich stärker als etwa mit steigendendem LDL-Cholesterin. Daher ist der Leberwert GGT sehr viel aussagekräftiger.
UG: Apropos Leber: Während viele, mich eingeschlossen, bislang glaubten, eine Insulinresistenz nehme ihren Anfang in der Leber, sagst Du, sie beginnt im Fettgewebe. Wie erklärst Du das?
IC: Es ist keine Frage, dass die Leber eine Schlüsselstellung in diesem Geschehen einnimmt, sie ist exorbitant wichtig für einen gesunden Fett- und Zuckerstoffwechsel. Doch ich habe herausgefunden, dass das Problem Insulinresistenz sich schon viel früher am Fettgewebe zeigt: Wenn wir zu viele, vor allem raffinierte Kohlenhydrate essen und womöglich noch genetisch bedingt und durch Stress, Überernährung oder andere Lebensstilfaktoren häufig und lang anhaltend zu viel Insulin im Blut haben (Hyperinsulinämie), dann nimmt zuerst die Insulinempfindlichkeit der Fettzellen ab. Das stört die Signalwege, mit deren Hilfe sich Fettgewebe, Muskulatur und Leber gewöhnlich miteinander unterhalten und den Stoffwechsel steuern (Adipokine). Bei besonders großen, geschwollenen Fettzellen sind die zellinternen Signalwege überdehnt, auch dadurch wird die Kommunikation erschwert. Zudem können die Fettzellen weniger Zucker aufnehmen und die eingelagerten Fette nicht mehr gut halten. Bei Übergewicht kommt hinzu, dass die Fettzellen durch die Insulinresistenz trotz hoher Insulinspiegel nach dem Essen immer weniger Fett aufnehmen können.
Wir haben es also mit dysfunktionalen Fettzellen zu tun, die sich entzünden, unter oxidativem Stress leiden und deren gestörte Kommunikation die Insulinresistenz der Leber und der Muskeln fördert. Zudem geben diese Fettzellen permanent zu viel freie Fettsäuren ins Blut, die die Leber dazu anregen, noch mehr Zucker auszuschütten. Am Ende schwimmt viel zu viel Fett, Zucker und Insulin im Blut und das ist die Triade des Desasters! Bei gesunden Menschen sind Zucker-, Fett- und Insulinspiegel niedrig, bei Diabetikern sind sie hoch.
Übrigens genügten bei Mäusen schon drei Tage mit einer der „amerikanischen Standard-Ernährung“ (SAD) nachempfundenen Mischung aus Stärke und minderwertigen Ölen im Futternapf, um ihr Fettgewebe insulinresistent zu machen. Nach einer Woche war die Leber insulinresistent, nach drei Wochen die Muskeln und nach einem Viertel Jahre litten die Tiere unter chronischen Entzündungen.
UG: Zurück zum Menschen: Was ist mit den Schlanken?
IC: Entscheidend ist weniger ob jemand dick oder dünn ist, sondern ob sein Fettgewebe insulinresistent ist. Das kann auch bei Schlanken der Fall sein, auch sie können geschwollene, dysfunktionale Fettzellen haben. Umgekehrt gibt es dicke Menschen, deren Fettgewebe nicht insulinresistent ist. Der alleinige Fokus auf das Gewicht führt in die Irre. Denn es ist der gestörte Stoffwechsel der Fettzellen, der zur Insulinresistenz des ganzen Körpers führt. Insulinsensitive Menschen, gleich welchen Gewichts, haben kein erhöhtes Diabetes- oder Infarktrisiko.
UG: In einem Deiner Vorträge erwähntest Du, dass praktischer jeder Infarktpatient auch Prädiabetiker ist. Wie begründest Du das?
IC: Dr. Joseph Kraft, der die verschiedenen Formen einer Insulinresistenz detailliert beschrieben hat, formulierte es sinngemäß einmal so: „Wenn bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen kein Diabetes vorliegt, … wurde dieser schlicht noch nicht diagnostiziert.“ Zum Hintergrund: Die Insulinresistenz steht zusammen mit einem erhöhten Insulinspiegel als wichtige Ursachen im Mittelpunkt praktischer aller chronischen Zivilisationskrankheiten. Das trifft eben nicht nur auf den Diabetes zu, sondern auch auf das polycystische Ovarialsyndrom, Schlafapnoe, Sodbrennen und Bluthochdruck bis hin zu neurologischen Problemen, viele Krebserkrankungen und Herz- und Gefäßerkrankungen. Da Insulinresistenz und die damit einhergehenden erhöhten Insulinspiegel alle diese Krankheiten ursächlich begünstigen, sind auch Patienten mit arteriosklerotischen Veränderungen der Herz- oder Hirngefäße in der Regel insulinresistent und hyperinsulinämisch und damit auch auf dem Weg zum Diabetes.
UG: Warum ist das wichtig?
IC:
Weil beispielsweise die Whitehall-Studie zeigen konnte, dass sich mit der Normalisierung des Zuckerstoffwechsels das Risiko für einen Infarkt oder den Herztod um 56 % verringern lässt. Und weil jeder sofort etwas gegen Insulinresistenz und zu hohe Insulinspiegel tun kann: Sich nach LCHF oder ketogen zu ernähren ist eine der wichtigsten Lebensstilmaßnahmen, sie ist ebenso einfach wie wirksam. Man geht damit direkt die Ursache seiner Stoffwechselprobleme an. Deshalb lassen sich damit auch praktisch alle Risikofaktoren senken. Was will man mehr?
UG: Durch einen Kalzium-Scan Leben retten?
IC: Ganz genau! Das Irish Heart Disease Awareness Programm, das ich betreue, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über die wirklich wichtigen Risikofaktoren einer Herzerkrankung aufzuklären. Wir wissen, dass die üblichen Scores zur Risikoabschätzung bei Menschen im mittleren Alter oft versagen, weil sie stark vom Alter als Risikofaktor geprägt. Nicht wenige Mittfünfziger oder Mittsechziger mit angeblich geringem Risiko fallen aber tot um oder erleiden „aus heiterem Himmel“ einen Infarkt. Das ist besonders tragisch, weil es nicht sein müsste. Es existiert schon lange ein bildgebendes Verfahren, das innerhalb von fünf Minuten zeigt, ob sich in den Herzgefäßen bereits Kalziumablagerungen gebildet haben. Dieser Koronare Kalzium-Scan ist nichtinvasiv und er erfordert kein Kontrastmittel. Mit ihm hat man augenblicklich ein klares Bild über das Ausmaß einer Erkrankung. Gibt es keine Kalziumablagerungen in den Herzgefäßen, ist das Risiko für einen Infarkt sehr niedrig. Zeigt der Scan bereits starke Kalziumablagerungen, ist das Risiko zwar hoch, es kann jedoch sofort gegengesteuert werden, z. B. mit einer LCHF-Ernährung.
UG: Dieser Scan ist in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Wie bekommt man ihn?
IC: In den USA ist der Scan bereits in die Leitlinien zur Prävention integriert, in Europa leider noch nicht. Er wird jedoch angeboten, man kann die Praxen im Internet finden. Allerdings muss man ihn in der Regel selbst bezahlen, die Anbieter verlangen zwischen 150 und 400 Euro dafür. Aber noch einmal: Er kann Leben retten.
UG: Vielen Dank und weiterhin viel Elan und Erfolg für Deine Arbeit!
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Margret Ache und Iris Jansen / www.LCHF-Deutschland.de und LCHF Deutschland Akademie und LCHF Kongress und LCHF Magazin
Weitere Infos:
Kurzinfo zum Koronaren Kalzium-Score, auch Agatston-Score genannt: https://flexikon.doccheck.com/de/Agatston-Score
Titelbild: Ulrike Gonder
Bild im Text: shutterstock_1283355283