Ist eine Kalorie wirklich eine Kalorie?
Der Artikel „Was ist eine Kalorie? Und wenn eine Kalorie eine Kalorie ist, warum gibt es dann die Nahrungsmittelpyramide?“ ist von
Dr. Daniela Häming aus dem LCHF Magazin Ausgabe 2/2017.
Was ist eine Kalorie? Und wenn eine Kalorie eine Kalorie ist, warum gibt es dann die Nahrungsmittelpyramide?
Was wir umgangssprachlich im Ernährungsbereich als „Kalorie“ bezeichnen, ist eigentlich keine Kalorie, sondern eine Kilokalorie (kcal). Diese Einheit ist bereits seit 1948 durch die SI-Einheit Joule ersetzt worden. Der Unterschied zwischen diesen beiden Einheiten ist aber für die Diskussion über Sinn und Unsinn dieser Einheiten nicht entscheidend, denn sowohl (Kilo-)Kalorien als auch Joule sind Einheiten der Energie, genauer der Wärmeenergie. Dieser Wert wird für Lebensmittel im Labor in einem Kaloriemeter ermittelt. Dazu wird das Lebensmittel zuerst in einem Ofen getrocknet, um den hohen Wasseranteil mancher Lebensmittel zu entfernen. Dann kommt das getrocknete Lebensmittel in ein Reaktionsgefäß, welches in einem Wasserbecken hängt. Und genau um dieses Wasser geht es, denn nun wird das Lebensmittel in dem Reaktionsgefäß über eine Zündschnur „in die Luft gejagt“, wobei es rückstandslos verbrennt. Die dabei abgegebene Wärmeenergie wird anhand der Erwärmung des Wassers im Becken bestimmt. Das heißt, es wird die Wassertemperatur vor der Verbrennung des Lebensmittels bestimmt und dann noch einmal nach der Verbrennung. Ein Liter Wasser ist „ein Kilo“ und die Erwärmung von einem Liter Wasser um 1 Kelvin benötigt eine Kilokalorie (vereinfacht gesagt natürlich, aber wir machen hier ja keinen Chemiekurs).
Und? Fällt Ihnen an dieser Stelle etwas auf?
Die Tatsache, dass viele Leute im Frühjahr gerne entschlacken, klingt zwar ein bisschen, als seien wir Menschen Hochöfen, die die Nahrung wie im Kaloriemeter verbrennen. Es ist jedoch völlig absurd anzunehmen, dass wir Menschen jede Art von Nahrungsmittel gleich gut verdauen würden, genau genommen „rückstandslos“ wie im Labor. Denn nur so würden wir die angegebenen Kalorien auch genau so aufnehmen, wie es auf der Packung steht.
Um das Dilemma dieser Einheit zu verdeutlichen, können wir ja einmal einen Blick auf Pferdefutter werfen. Da findet der Pferdeliebhaber: 1 kg Heu ca. 2.000 kcal (ca 8.400 kJ), 1 kg Stroh (Weizen) ca. 1.200 kcal (ca 5000 kJ). Heu und Stroh lassen sich sicherlich gut verbrennen, aber wie sieht es mit der Verdauung des Menschen aus? Ich möchte das nicht im Detail ausschmücken, aber wenn Sie eine Portion Stroh essen würden, käme wohl auch fast das Gleiche „unten wieder raus“. Ihre Kalorienaufnahme aus diesen zugeführten Kalorien wäre daher nahezu null. Dieses Beispiel ist natürlich etwas überspitzt, aber ich denke, es wird klar, dass diese präzise Wärmeenergie-Einheit aus dem Labor für den Menschen nicht mit der gleichen Präzision gilt. Daher sind Kalorienangaben immer mit Vorsicht zu genießen. Während die Abweichung zwischen realer Kalorienaufnahme aus der Nahrung und der Labormessung ziemlich offensichtlich ist, gibt es leider noch einen Faktor, der weitaus schwieriger zu erfassen ist. Die Kalorienmenge ist für alle Lebensmittel gleichermaßen im Kaloriemeter bestimmt worden, egal welche Zusammensetzung diese haben. So wird suggeriert, dass eine Kalorie eine feststehende Währung in der Ernährung sei. Es ist aber so, dass die aufgenommene Energie in Abhängigkeit von den enthaltenen Makronährstoffen auch unterschiedlich im menschlichen Körper umgesetzt wird. So macht es sehr wohl einen Unterschied, ob man 500 kcal Zucker, Eiweiß oder Fett zu sich nimmt. Diese Diskrepanz ist erstaunlicherweise bereits vor vielen Jahren aufgefallen.
Im September 1956 haben A. Kekwick und G.L. Pawan im „Lancet“, einer sehr renommierten medizinischen Fachzeitschrift, eine Studie mit dem Titel: „Calorie intake in relation to body-weight changes in the obese“) veröffentlicht. Diese sollte zeigen, welchen Einfluss die drei Makronährstoffe Kohlenhydrat, Eiweiß und Fett auf das Gewicht von übergewichtigen Menschen haben Dazu wurde allen Probanden eine Diät zugeordnet, die genau 1000 kcal pro Tag enthielt. Eine Gruppe bekam dabei Speisen, welche zu 90% aus Fett bestanden, eine zweite Gruppe bekam 90% Eiweiß und eine dritte Gruppe bekam 90% Kohlenhydrate. Dann wurde jeden Tag die Gewichtsveränderung gemessen. Wenn eine Kalorie für die menschliche Ernährung eine sinnvolle Maßeinheit wäre, also eine Kalorie einem feststehenden Energiegewinn für den Körper entspräche, wäre für alle drei Gruppen eine vergleichbare Abnahme zu erwarten gewesen. 1000 kcal sind ungefähr der halbe Tagesbedarf einer erwachsenen Frau, wenn wir hier einmal großzügig vereinfachen.
Was aber tatsächlich geschah, ist Folgendes:
Die Gruppe, die 1000 kcal in Form von 90% Fett aß, nahm pro Tag zwischen 300 g und 670 g ab. Die Eiweißgruppe nahm 85 g bis 550 g ab. Dann kam die Überraschung: Manche Teilnehmer der Kohlenhydratgruppe nahmen sogar zu. Diese Gruppe hatte täglich zwischen 150 g Zunahme und 150 g Abnahme. Da Kekwick und Pawan erwarteten, dass diese Ergebnisse sehr kritisch aufgenommen werden würden, machten sie zur Sicherheit auch die Gegenprobe. Probanden, die über einen Zeitraum täglich 2000 kcal zu sich nahmen und dabei ein stabiles Gewicht hatten, bekamen danach 30% mehr pro Tag, also 2600 kcal serviert. Und Sie ahnen es, je nachdem, ob diese 2600 kcal aus Kohlenhydraten, Eiweißen oder Fetten stammten,
war das Ergebnis sehr unterschiedlich. Die Gruppe, welche bei 2000 kcal täglicher Mischkost ein stabiles Gewicht hatte, nahm mit einer Kalorienerhöhung auf 2600 kcal ab, wenn die zugeführten Kalorien vorwiegend aus Fett stammten.
Herr Kekwick und sein Kollege Pawan sind dem Thema treu geblieben und veröffentlichten, neben anderen Werken, im April 1969 noch einmal im „Lancet“. „[…]There is no firm relationship between the energy-value of food and the energy made available to the organism: the effect of a given diet on body-mass is determined by its composition, the pattern of feeding, and hormonal influences. The amount of energy derived from food varies according to the metabolic pathway taken.[…]” Also frei übersetzt: Es gibt keine feste Beziehung zwischen dem Energiegehalt eines Lebensmittels und der Energie, die dadurch dem Körper bereitgestellt wird. Der Effekt einer gegebenen Diät auf die Körpermasse wird durch ihre Zusammensetzung, die Art der Nahrungsaufnahme und hormonelle Einflüsse bestimmt.
Ist das nicht interessant? Nun fragt man sich doch tatsächlich, warum einem die Ernährungsberater immer mit diesen kalorienbilanzierten Diäten quälen?! Vor allem auch jene Patienten, die sich mit dem Essen sowieso schon quälen, wie zum Beispiel Annorexie- oder Adipositas-Patienten. Wie schrecklich sich vorzustellen wie die Seele eines Adipositas-Patienten leidet, wenn er brav seine Diät einhält und nie die angegebenen Kalorien pro Tag überschreitet, brav wie ein Kaiser Butterbrote frühstückt, wie ein König Nudeln mit fettarmer Soße zum Mittag isst und 5 Mal am Tag ein Stück Obst… und womöglich trotzdem zunimmt. Was für ein Gefühl von Versagen und dann auch noch die Schuldzuweisungen, man sei einfach nicht diszipliniert genug.
Woher stammen also diese Empfehlungen, die auf große Mengen Kohlenhydrate und wenig Fett abzielen? Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) lautet „Eine vollwertige Mischkost sollte begrenzte Fettmengen und mehr als 50% der Energiezufuhr in Form von Kohlenhydraten enthalten.“ (Quelle: https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/kohlenhydrate-ballaststoffe/). Es sollen „reichlich Getreideprodukte sowie Kartoffeln“ verzehrt werden. „Gemüse und Obst – nimm 5 am Tag“ und was steht da zu Fett? „Fett liefert lebensnotwendige (essenzielle) Fettsäuren und fetthaltige Lebensmittel enthalten auch fettlösliche Vitamine. Da es besonders energiereich ist, kann die gesteigerte Zufuhr von Nahrungsfett die Entstehung von Übergewicht fördern. Zu viele gesättigte Fettsäuren erhöhen das Risiko für Fettstoffwechselstörungen, mit der möglichen Folge von Herz-Kreislauf-Krankheiten.“ (Quelle: https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/)
Das steckt also dahinter, Fett soll krank machen? Es gibt essenzielle (lebensnotwendige) Aminosäuren (Protein) und essenzielle Fette, aber keine essenziellen Kohlenhydrate…
Diese Aussagen zu dem Thema sind laut DGE evidenzbasiert, das heißt, sie wurden wissenschaftlich belegt. Im Bereich der menschlichen Ernährung ist das aber so eine Sache mit dem „wissenschaftlich“, denn „Menschenversuche“ sind natürlich nicht so einfach. Es gibt kaum Studien mit großen Personenzahlen, die wirklich kontrolliert stattgefunden haben. Die Studien, welche die DGE hier heranzieht, wurden auch zum größten Teil gemacht, um den Zusammenhang bestimmter Ernährungsfaktoren mit einer bestimmten Erkrankung zu verbinden. Das beinhaltet, dass sie zahlreiche erkrankte Studienteilnehmer benötigen. Da aber vorher natürlich niemand weiß, wer später an einer bestimmten Krankheit leidet, müsste in Anbetracht der Anzahl möglicher Einflussfaktoren und der Laufzeit der Studie die Zahl der Teilnehmer sehr groß sein. Und über wie viele Jahre müssten die eine strikte Diät mit festgelegter Zusammensetzung zu sich nehmen, damit man hinterher eine Nahrungskomponente mit der Häufigkeit einer bestimmten Erkrankung in Verbindung bringen könnte? Die Studie zahlt keiner und sie werden wohl auch nicht genug freiwillige Teilnehmer finden. Was stattdessen häufig wirklich gemacht wird, ist die Analyse anhand so genannter FFQs (Food-frequency questionnaire, also Fragebögen zur Ernährung). Sie werden sowohl an eine erkrankte Gruppe als auch an „Vergleichs- oder Kontrollgruppen“ verteilt. Die Menschen sollen also rückwirkend beschreiben, was sie in der Regel so verzehren. Für größere Studien mit längerer Laufzeit werden diese Fragebögen auch für die aktuelle Situation ausgefüllt und nicht rückwirkend. Nichtsdestotrotz bleiben da einige Probleme mit der Art, der Datenerhebung. Zum einen haben die Aussagen dieser Fragebögen einen erheblichen Bias. Das heißt einen Fehler, eine Verzerrung. Diesen findet man in Studien, bei denen zum Beispiel die Annahme über den Ausgang die Ergebnisse beeinflusst. Daher werden Medikamente „doppelt blind“ getestet. Aber auch wenn es um Selbstauskünfte geht, bei denen die Befragten schon „wissen“, was gut und schlecht ist, ist die gemachte Aussage häufig bewusst oder unbewusst ein wenig geschummelt. Zum anderen werden die abgefragten Ernährungspläne später in „Nährstoffe“ umgerechnet und dann wird nach statistisch signifikanten Zusammenhängen gesucht. Das heißt der vermeintliche Zusammenhang zwischen dem bösen Fett und einer Krankheit könnte, auch wenn die Studiengruppe groß genug ist und alle Teilnehmer Nichtraucher und alle Teilnehmer sportlich gleich aktiv und alle keine genetische Veranlagung für diese Krankheit haben und und und, trotzdem auf viele verschiedene Kombinationen von Nahrungsmitteln und Lebenssituationen statt auf eine Nährstoffklasse zurückzuführen sein. So lautet zum Beispiel die Argumentation der DGE, warum es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Adipositas gibt: (Quelle: https://www.dge.de/fileadmin/public/doc/ws/ll-kh/03-Adipositas-DGE-Leitlinie-KH.pdf) „Kapitel 3: Kohlenhydratzufuhr und Prävention der Adipositas 3.3.2.2.2 Disaccharide – Erwachsene.
Die Relevanz des Sacharoseverzehrs wurde in zwei älteren US-Kohortenstudien betrachtet. Bei 31 940 nichtrauchenden Teilnehmerinnen der Nurses’ Health Study war eine höhere Saccharosezufuhr zu Studienbeginn mit einer höheren Körpergewichtszunahme nach 2 Jahren und einer geringeren nach 4 Jahren verbunden (Colditz et al. 1990, EK IIb). In einer Kohorte von 465 US-amerikanischen Männern und Frauen fand sich hingegen kein Zusammenhang zwischen der Gesamtzufuhr an Saccharose und der Veränderung des BMI im Verlauf der 12-jährigen Nachbeobachtungszeit (Parker et al. 1997, EK IIb).
In einer 10-wöchigen Intervention an 49 gesunden Frauen ohne Adipositas wurden die Teilnehmerinnen instruiert, übliche Lebensmittel entweder durch fettreduzierte (n = 17) oder zuckerreduzierte Lebensmittel (n = 19) zu ersetzen bzw. ihre übliche Ernährung beizubehalten (n = 13). Die Intervention resultierte in einer Reduktion der Fettzufuhr um 4 % bzw. der Saccharosezufuhr um 2,5 %. Die drei Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in der Veränderung des Körpergewichts (Gatenby et al. 1997, EK Ib). Weitere gut durchgeführte Interventionsstudien mit ausreichender Zeitdauer liegen nicht vor. Die Evidenz zur Relevanz von Saccharose bzw. zugesetztem Zucker für das Adipositasrisiko bei Erwachsenen ist unzureichend.
Ich will diese Studien damit nicht verteufeln. Diese Studien sind so gut, wie es für das komplexe Studienobjekt Mensch eben geht. Wenn man aber eine Studie mit 49 Teilnehmerinnen und vagen Diätinstruktionen schon als eine gute Studie listet, sollte man mit den Schlüssen, die man aus den Studien zieht, etwas vorsichtiger sein. Meiner Meinung nach werden hier nur die „neuen Ideen“ kritisch betrachtet und nach Beweisen gesucht, aber der Status quo wird nicht gleichermaßen in Frage gestellt. Sozusagen „von Brot und Kartoffeln ernähren wir uns schon seit vielen Jahren gut, beweisen Sie mir erst einmal, warum ich das ändern sollte“ ohne dass es für die erste Annahme, nämlich dass wir von Brot und Kartoffeln gut leben, wissenschaftliche Belege gäbe. Trotzdem werden solche vermeintlichen Zusammenhänge öffentlichkeitswirksam zur nächsten großen Schlagzeile in den Tageszeitungen… und eben auch zu den Richtlinien der DGE.
Dr. rer. nat. Daniela Häming
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